ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER PSyCHO-
ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD
SCHRIFTLEITUNG: DR. OTTO RANK/DR. HANNS SACHS
INTERNATIONALER PSyCHOANALyTISCHER VERLAG G. M. B. H.
LEIPZIG - WIEN - ZÜRICH - LONDON - NEW-yORK
VI. 3.
1920
Das Zersingen der Volkslieder.
Ein Beitrag zur Psychologie der Volksdichtung.
Von Dr. HERMANN GOJA.
(Fortsetzung und Schluß.)
Die Auslassung1.
In einer Studie über das Zersingen, dem Vergessen und Erinnern
der Volkslieder ein besonderes Kapitel zu widmen, ist nicht be*
rechtigt. Die Besprechung des Vergessens und Erinnerns ist
eigentlich mit der der Verdichtung, der Verschiebung abgetan. Ist
doch die Verdichtung z. B. nichts anderes als das Vergessen eines
Teiles des Liedes und das Dafürerinnern eines anderen. Hat man
daher einmal die Verdichtung als etwas Zweckentsprechendes er*
kannt, so muß man auch dem Vergessen und Erinnern der Volks^
lieder und seiner Teile Zwedc zuerkennen, muß es aus dem Bereich
des Zufälligen emporheben in den des Absichtlichen, nicht in das
des Bewußt* aber in das des Unbewußtabsichtlichen.
Würde der Zweck meiner Arbeit eine Psychologie der Volks*
dichtung sein, so würde ich jetzt den Nachweis erbringen, daß die
Auswahl der in einer bestimmten Situation gesungenen Lieder selbst
ebenfalls keine zufällige ist, daß der Sänger nicht jene Lieder singt,
welche er will, sondern welche er muß. Beispiele zu dieser Be*
hauptung zu erbringen, wäre leicht2. Da das Ziel meiner Arbeit
1 Vgl. Freud, Zur Psychopathologie des Alltagslebens.
2 Besonders aus J. Meier, Das deutsche Soldatenlied im Felde.
ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD
SCHRIFTLEITUNG: DR. OTTO RANK/DR. HANNS SACHS
INTERNATIONALER PSyCHOANALyTISCHER VERLAG G. M. B. H.
LEIPZIG - WIEN - ZÜRICH - LONDON - NEW-yORK
VI. 3.
1920
Das Zersingen der Volkslieder.
Ein Beitrag zur Psychologie der Volksdichtung.
Von Dr. HERMANN GOJA.
(Fortsetzung und Schluß.)
Die Auslassung1.
In einer Studie über das Zersingen, dem Vergessen und Erinnern
der Volkslieder ein besonderes Kapitel zu widmen, ist nicht be*
rechtigt. Die Besprechung des Vergessens und Erinnerns ist
eigentlich mit der der Verdichtung, der Verschiebung abgetan. Ist
doch die Verdichtung z. B. nichts anderes als das Vergessen eines
Teiles des Liedes und das Dafürerinnern eines anderen. Hat man
daher einmal die Verdichtung als etwas Zweckentsprechendes er*
kannt, so muß man auch dem Vergessen und Erinnern der Volks^
lieder und seiner Teile Zwedc zuerkennen, muß es aus dem Bereich
des Zufälligen emporheben in den des Absichtlichen, nicht in das
des Bewußt* aber in das des Unbewußtabsichtlichen.
Würde der Zweck meiner Arbeit eine Psychologie der Volks*
dichtung sein, so würde ich jetzt den Nachweis erbringen, daß die
Auswahl der in einer bestimmten Situation gesungenen Lieder selbst
ebenfalls keine zufällige ist, daß der Sänger nicht jene Lieder singt,
welche er will, sondern welche er muß. Beispiele zu dieser Be*
hauptung zu erbringen, wäre leicht2. Da das Ziel meiner Arbeit
1 Vgl. Freud, Zur Psychopathologie des Alltagslebens.
2 Besonders aus J. Meier, Das deutsche Soldatenlied im Felde.