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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 10.1924

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Heft 1
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Gomperz, Heinrich: Psychologische Beobachtungen an griechischen Philosophen
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https://doi.org/10.11588/diglit.36527#0028
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II. Gomperz

16

Eine davon zu vieles Da wich er vom richtigen Weg ab!
55: Denn ein Doppelgebilde durch Gegensetzung der Zeichen
Schuf er: 39 hierhin setzt' er das himmlische Feuer der Flamme,
Fehlgriff ist — zunächst für sie, damit aber doch auch irgendwie überhaupt (vgl. o.
Anm. io) — die Welt des Wahnes entstanden. Wo und wann aber ist dieser Fehl-
griff begangen worden, wer hat denn zuletzt die zwei Gestalten benannt? Wie mir
scheint, belastet diese Schuld für Parmenides vor allem Hesiod und etwa noch die
andern Verfasser alter Kosmogonien. Denn für Hesiod ist der Gegensatz zwischen
Hell und Dunkel, Tag und Nacht wirklich der erste, der bei der Bildung der Welt
hervortrat (Theog. 12g f.) und ihm zufolge entwickeln sich jeweils die spätem Er-
scheinungen aus den früheren durch geschlechtliche Zeugung, ganz wie dies nach
XII, g ff. auch in der Welt des Wahnes der Fall ist. Aber freilich war der „Wahn"
des Parmenides keinesfalls ein bloßer Auszug aus Hesiods Theogonie. Deren Inhalt
erschien dort vielmehr offenbar in eigenartiger Zurechtriickung, Vereinfachung und
Ergänzung: es ward gezeigt, wie Hesiod, wäre in seinem Wahnsinn Methode gewesen,
die Weltbildung eigentlich hätte darstellen müssen. Aus seinem Gedicht waren also
gewisse Grundgedanken herausgeschält und diese galten dem Parmenides gleichzeitig
als die Leitideen des volkstümlichen wie des wissenschaftlichen Weltbildes seiner
Zeit. Daher denn die einzelnen Lehren des „Wahnes" anscheinend von fünferlei Art
waren: I. Solches, was Hesiod wirklich gesagt hatte; II. Solches, was er nach Par-
menides folgerechter Weise hätte sagen sollen; III. Solches, was zur Zeit der Ab-
fassung des Gedichtes alle Welt glaubte und was dem Dichter als Folgerung aus
Hesiods angeblichen Grundgedanken erschien; IV. Solches, was die Wissenschaft
seiner Zeit ermittelt zu haben meinte und was er daher in das Weltbild des gemeinen
Mannes an gehöriger Stelle glaubte eintragen zu müssen, ohne deswegen dies Welt-
bild für ein weniger wahnhaftes zu halten; V. endlich Solches, was Parmenides, vom
Standpunkte der Wissenschaft ausgehend, selbst entdeckt hatte und womit er nun auf
dieselbe Art wie mit den Entdeckungen seiner gelehrten Zeitgenossen verfuhr. Im ein-
zelnen lassen sich diese fünferlei Bestandteile freilich nicht mehr deutlich sondern und
hier mußte sogar fast auf jeden Versuch einer solchen Sonderung verzichtet werden.
58) MV jthav oh jypeMV nicht Mv hteppv oh (Diels, Parmenides S. gg)!
Also liegt der Fehler nicht (wie es vielleicht schon Aristoteles auffaßte, Vorsokr. 18
A 24) darin, daß neben einer wahrhaft seienden Grunderscheinung (dem Licht) noch
eine andere, nicht wahrhaft seiende (das Dunkel) angenommen wird — er liegt viel-
mehr darin, daß statt einer Einheit eine Zweiheit (von der eben die eine Einheit zu
viel ist, nicht angenommen werden sollte), statt des einen wahrhaft Seienden zwei
nicht wahrhaft seiende Erscheinungen gesetzt werden (so richtig schon Tannery,
Pour Z'Zn'stoire de Za jcz'ence He/Zene p. 22y; Patin, Parmenides im Kampfe gegen Heraklit
S. 591 ; Reinhardt, Parmenides S. 70). Das schließt freilich nicht aus — und insofern
mag ja die Auffassung des Aristoteles begründet sein —, daß Parmenides die eine
der fälschlich als seiend gesetzten Grunderscheinungen (das Licht) dem wahrhaft
Seienden immerhin in mancher Hinsicht ähnlicher gedacht haben mag als die andere.
5g) „Sie stellten die Gebilde einander gegenüber und sonderten ihre Merkmale
voneinander": man kann nicht anschaulicher eine Begriffsbildung beschreiben — nur
daß eben, nach Reinhardts schönem Nachweis, dem Parmenides die Bildung der Be-
griffe zugleich auch als die Erzeugung der Erscheinungen selbst galt: Licht und
Nacht werden einander nicht nur im logischen Sinne „entgegengesetzt", vielmehr
kommt bei dieser Entgegensetzung das Licht nach oben, die Nacht nach unten zu stehen!
 
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