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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 10.1924

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Heft 4
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Hermann, Imre: Benvenuto Cellinis dichterische Periode
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https://doi.org/10.11588/diglit.36527#0433
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Benvenuto Cellinis dichterische Periode

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(CXXV, CXXVI) mußten die Orallibido verstärken. Durch lautes Singen
wurde sein trostloses, stummes Heim mit Stimmen belebt (CXIX). Die
Libido der Hand — die vorauszusetzende organische Grundlage der Kunst
des Bildhauers, Zeichners — regrediert zur Orallibido, woher sie onto-
und phylogenetisch, wenn auch nur teilweise, abstammt. Eine Regression
wäre aber Cellinis neue psychische Verfassung auch von dem Standpunkte,
daß der Vater zwar auch gut zeichnete, doch auch stärker als der Sohn
mit „dichterischer und gewissermaßen mit prophetischer Vene beschenkt
war" (VI), die Reorganisation der seelischen Kräfte in Cellini zielte also
in der Haft auf die Organisation des Vaters, Boß sozusagen in alte, schon
im Vater erprobte Bahnen zurück. In der Regression äußerte sich die
Liebe zum Vater* als Identifikation mit dem Vater. Zur Regression zwang
nun die Situation im allgemeinen, mit ihrem Drang zur Wiederbelebung
der Phase des halluzinatorischen Wirklichkeitssinnes, zum Niederringen
des Realitätsprinzips; die Regression wurde aber auch real hervor-
gebracht durch die Situation im besonderen, der Finsternis, des Eingesperrt-
seins, also der Situation des Kindes im Mutterleibe. Er Beht zum Gott-
vater um Befreiung.
Bezeichnend ist auch, was für Schmerzen und körperliche Unannehm-
lichkeiten durch Cellini hier beschrieben werden: „So sang ich auch den
ganzen Tag Psalmen und viele andere meiner Gedichte, alle an Gott ge-
richtet. Nur machten mir meine Nägel, die immer fortwuchsen, das größte
Übel. Ich konnte mich nicht anrühren, ohne daß sie mich verwundeten,
noch mich ankleiden, ohne daß sie innwendig oder auswendig hängen
blieben, und mir große Schmerzen verursachten; auch fingen mir die
Zähne an, im Munde abzusterben, und weil sie sich an die gesunden
stießen, so wurden sie endlich ganz los in der Kinnlade und die Wurzeln
wollten nicht mehr in ihren Einfassungen bleiben. . . . Wenn ich das merkte,
zog ich sie heraus, wie aus einer Scheide, ohne Schmerzen und Blut,
und so hatte ich leider viele verloren. Indessen schickte ich mich noch
auch in diese meine Übel: bald sang ich, bald betete ich, auch fing ich
ein Gedicht zum Lob des Gefängnisses an und erzählte in demselben alle
die Vorfälle, die mir begegnet waren." (CXIX, nach Goethe). (Die Rolle
der lokalen körperlichen Vorgänge in der Erhöhung der Organlibido und
dadurch der Begabung soll hier nebst dem Erscheinen des Kastrations-
komplexes beachtet werden.)
i) Auch der Haß gegenüber dem Vater äußerte sich: in der feindlichen Stellung
 
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