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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 11.1925

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Heft 4
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Hermann, Imre: Gustav Theodor Fechner: Vortrag in der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung, 1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.36528#0428

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Dr. Imre Hermann

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verweilt er besonders bei dem Beispiele der Schönheit eines menschlichen
Fußes, die er eher am beschuhten Fuß, nicht am nackten, findet, und der
Arme. Kaum findet man irgendwo wärmere Worte in der ganzen Ästhetik,
wie gerade an dieser Stelle : „Eine Blinde, welche sich der Formen nur durch
den Tastsinn bemächtigen konnte, wurde gefragt, weshalb ihr der Arm einer
gewissen Person so wohl gefiele. Man ratet etwa: Sie antwortete, weil sie den
sanften Zug, die schöne Fülle, die elastische Schwellung der Formen des
Armes fühle. Nichts von alle dem, sondern weil sie fühle, daß der Arm gesund,
rege und leicht sei. Das konnte sie aber nicht unmittelbar fühlen, sondern
nur an das Gefühlte assoziieren. Nun glaube ich nicht, daß der direkte Ein-
druck, in dem man den alleinigen Grund des Wohlgefallens sehen möchte,
ohne Anteil daran war; aber man sieht doch, daß der assoziierte Eindruck
ihr noch lebendiger zum Bewußtsein kam. Bei uns Sehenden ist es um-
gekehrt. Wir meinen, einem schönen Arme seine Schönheit gleichsam ab-
zusehen, ohne zu ahnen, daß wir das Meiste davon hineinsehen." (I, S. gi).
Statt „Absehen'" hätte Fechner hier auch „mit den Augen abtasten"
sagen können — es scheint ja, bei ihm wurde die erotisch-abtastende Rolle
der Hand durch die Augen übernommen. Damit wären wir bei der organischen
Grundlage des Seherkomplexes angelangt. Nicht nur in der Kranken-
geschichte dominiert das Auge; auch in gewissen Phantasien: die Engel
sollen augenartige Geschöpfe sein, das Auge sei der vollkommenst gebaute
Teil des menschlichen Körpers. „Mein Geschöpf war mir wieder lieb, es
war ein wunderschönes Auge geworden." (Kleine Schriften, S. 137.) „Die
Augensprache der Liebe ist eine Vorbedeutung der Sprache der Engel, die
ja selbst nur vollkommene Augen sind." (S. 1^6.)
Ich vermute aber, die Handerotik ging nicht nur in die Munderotik
über, um da eine sprachliche Sublimierung durchzumachen, sie gab nicht
nur den Augen Kräfte ab (im erotischen Abtasten schon im vorhinein),
sie gab nicht nur Kräfte dem regressiven Wunsche, sich an der Mutter
anzuklammern, ab, es ist noch etwas vorhanden, das nach meinen bisherigen
Erfahrungen mit der Handerotik in Zusammenhang gebracht werden kann, und,
das wäre der Hang zum formalen Denken. Wie die Hand immer nur die
äußeren Formen beherrschen kann, die innere nur, indem sie sie zur äußeren
macht, so gehen die formalen Schritte nur immer dem Äußeren entgegen,
das Innere, das Sinnhaltige aber wird von ihnen gemieden. Man kann sich
die Sachlage etwa so vorstellen, daß es in der Entwicklung der Hand-
funktionen vom Peripheren zum Zentralen folgende Möglichkeiten geben kann.
1. Die Handerotik verläßt die Hand zugunsten des zentralen — sprachlichen —
 
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