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Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.

10. Jahrgang. Wien, 15. Jänner 1918. Nr. 2.

Der Verkündigungsengel
Vor einigen Jahren ist das Leonardo zugeschrie-
bene Bild eines jugendlichen Johannes Baptista aus
dem Nachlasse des kunstliebenden Bürgermeisters
von Basel Felix Saras in in das Haus über gesiedelt,
das die beiden Naturforscher und Ethnographen
Fritz und Paul Saras in bewohnen. Die rätselhafte
Schöpfung aus dem Umkreise von Leonardos Kunst
hat das Interesse der beiden Forscher in hohem. Maße
auf .sich gezogen und Paul Sarasin zu dem Versuche
gereizt, den Schleier zu heben, der sich seit mehr als
einem halben Jahrhundert um das von der Kunst-
geschichte kaum mehr beachtete Gemälde gelegt
hatte.
Paul S ar äs in hat diese Aufgabe mit der ihm aus
seinem Spezialfache eigenen Genauigkeit angepackt
rmd nicht nur seine eigenen Betrachtungen über das
interessante Problem, sondern das ganze bisher .ver-
öffentlichte Material in einem, stattlichen Bande, neu
geordnet, zusammengefaßt. Das ro.it einer farb’gen
nnd 16 schwarzen Tafeln ausgestattete Büch ist zu
Weihnachten 1917 im Verlage von Frobenius A.-G.
m Basel erschienen und zeigt, wie Autor und Verlag
erfolgreich bemüht waren, ein schönbs, nach Inhalt
und Ausstattung einheitliches Werk zu schaffen*)..
Als Grundlage der Studie gibt Sarasin eine minu-
ziöse Beschreibung desGemäldes, und zwar im Zustande,
wie es vor der von ihm veranlaßten Restauration war,
um dann den ganzen Verlauf der Arbeit bis zur Wieder-
herstellung des ursprünglichen Zustandes, die Ent-
fernung aller späteren Übermalungen, festzustellen
und den Leser miterleben zu lassen, wie der durch
sem Wissen und Können ausgezeichnete Restaurator
des Basler Museums, Fred Bentz, aus dem Johannes-,
knaben einen Verkündigungsengel herausholte.
Das Auge des'Naturforschers kam Sarasin bei diesem
verantwortungsvollen hinter nehmen sehr zu statten,
denn es gelang ihm., Beobachtungen am Objekte zu
machen, die früheren Forschein entgangen waren,
hrei von sachlichen Vorurteilen sucht er der schwierigen
brage .beizukommen, wohin, das-von ihm zu. neuer
Bedeutung em.porgehobene Bild im. Oeuvre Leonardos
zu stellen sei, und welche Rückschlüsse auf des Meisters
schöpferische Tätigkeit daraus gezogen werden können.
*) Der Verkündigungsengel des Leonardo da Vinci von
■vaul Sarasin.

des Leonardo da Vinci.
Leonardos eigenhändige Werke sind bekanntlich
überaus selten und zumeist in so stark beschädigtem
Zustande, daß ihre Echtheit immer und immer wieder
problematisch wird. Zahlreiche Kopien von Zeit-
genossen. und Schülern erhöhen diese Schwierigkeit
und stellen den Leonardoforscher vor äußerst heikle
und persönlich bedingte Urteile. So auch bei dem
Basler Bilde., Die einen verm.uten in ihm das verloren
geglaubte Original des Verkündigungsen.gels, den der
italienische Künstlerbiograph Vasari um die Mitte
des 16. Jahrhunderts beim Herzog Cosimo in Florenz
gesehen und in seiner Lebnärdobibgraphie genau be-
schrieben hat; die anderen halten es für eine zeit-
genössische Kopie, des Mailänders Gianpetrino, die
in engster Beziehung zu dem Brustbilde des jugend-
lichen Täufers im Louvre steht. Das berühmte Bild
des Louvre, der jugendliche Johannes Baptista mit
dem religiös erhobenen Arme bildet den Mittelpunkt
des Problems (Tafel XIV), denn der Verkündigungs-
engel ist eine Variante der nämlichen, mit weiblichen
Reizen ausgestatteten Jünglingsfigur, mit dem stark
zur Seite geneigten Lockenhaupt und der aufs Herz
gelegten Linken. Kopien des Louvrebildes, d. h. des
Johannesknaben befinden sich in der Ambrosiana in
Mailand und bei Hewetson in London, die Kopien
der Variante zeigen die Figur, als Johannes mit dem
Tierfell umgürtet (Waters, London, und Basel vor der
Restauration.) und als Verkündigungsengel (Petersburg,
Eremitage und Basel nach der Restauration).
Schon Emil Möller, der sich zum ersten Male in
neuerer Zeit eingehend mit dem Basler Bilde be-
schäftigte, hat in seinem. Aufsatze über Leonardos
Brustbild eines Engels und seine Kompositionen des
Johannes Baptista in den Monatsheften für Kunst-
wissenschaft 1911 auf die Möglichkeit hingewiesen,
daß zwei ganz unabhängig voneinander entstandene
Schöpfungen Leonardos in diesen Kopien versteckt
seien, und daß der Meister den Engel der Verkündigung
zuerst, wahrscheinlich noch vor 1507 in Mailand
gemalt habe, den Johannes Baptista dagegen erst
1517, als er schon nach Frankreich übersiedelt war.
Für diese von Möller ausgesprochene Vermutung er-
bringt nur Sarasin den vollen Beweis und zeigt an
Hand von Studien Leonardos und von Kopien seiner
Schüler, wie der Meister das Problem der Arm- und
Handstellungen des Verkündigungsengels studiert hat,
 
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