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Seite 30

Internationale Sammler-Zeitung

Nr. 4

Trotz diesen Werkstätten im Westen Europas blieb
Byzanz die vornehmste Bezugsquelle höfischer Kunst,
die zu dieser Zeit schon mannigfache Techinken aufwies.
Zu den seltenen Arbeiten dieser Art zählt auch die pracht-
volle, mit Schmelzplatten verzierte, goldene Kanne im.
Kirchenschatze von St. Maurice, welche die Tradition
als ein GeschenkKarls des Großen an das Kloster bezeich-
net. Dagegen blieb von den wunderbaren Schätzen, die der
Mönch von St. Gallen im Besitze des großen Kaisers,
Thegan und Ermoldus Nigellus in dem Ludwigs des
Frommen schildern, nachweisbar nichts mehr erhalten.
Die Erzählung Ekkehards IV. von den Reichtümern,
die Bischof Hatto von Mainz auf der Reise nach Italien
seinem Freunde Salomo, Bischof von Konstanz und
Abt von St. Gallen, zur Aufbewahrung übergeben haben
soll, damit er sie, falls der Tod den Besitzer ereile, zu
beider Seelenheile verteile, was auch geschah, ist mit
Recht in bezug auf ihre Glaubwürdigkeit angezweifelt
worden. Ebenso auch die Mitteilung des Chronisten,
daß die beiden großen Tafeln eines elfenbeinernen Dipty-
chons darin die gleichen seien, welche Karl der Große
nach der Überlieferung Einhards,am Abend unter das
Kopfkissen gelegt haben soll, um sich schlaflose Stun-
den mit Schreibübungen zu verkürzen, und von denen
die unverzierte Tuotilo übergeben worden sei, damit er
sie mit Bildern schmücke. Dagegen geht , aus Ekke-
hards Bericht zweifellos hervor, daß sich zu seiner Zeit
höchst wertvolle Kunstwerke im Kloster befanden. Es
ist daher um. so mehr zu bedauern, daß infolge der be-
drängten Lage der größte. Teil derselben schon im
11. Jahrhundert zu Geld umgeschmolzen werden mußte.
Ähnlich wie in. St. Gallen blühte die Kunst seit dem
10. Jahrhundert auch in den Benediktinerklöstern
auf der Insel Reichenau, zu Herzfeld und anderswo, so-
wie an manchen Bischofssitzen, wie Mainz, Köln, Pader-
born, Bamberg, ganz besonders aber zu Hildesheim
unter Bernward, dem Erzieher des Kaisers Otto III.
Es kann darum nicht befremden, wenn schon um 1100
im Benediktinerkloster Helmershausen der Mönch Ro-
gerus unter dem Schriftstellernamen Theophilüs in
seiner „Schedula diversarum artium“ eine Anleitung
für fast alle zu seiner Zeit ausgeübten Kunsttechniken
verfaßte, die bis heute eine unschätzbare Quelle zur Er-
kenntnis der mittelalterlichen Kunstausübung geblieben
ist. So treffen wir mehr und mehr die Vertreter der
bildenden Künste nicht nur im Dienste, sondern selbst
unter den Angehörigen der Kirche. Hätten sich deren
Vorsteher auf die Anschaffung von Kultusgeräten, wie
sie der Gottesdienst forderte, beschränkt, dann wären
wohl mit der Zeit Schätze von großem Kunstwerte zu-
sammengebracht worden. Allein zu Vorläufern unserer
heutigen historischen Sammlungen hätten sie nicht
werden können, denn dazu bedurfte es eines mannig-
facheren Inhaltes. Die Anhäufung eines solchen war
Folge anderer Umstände.
Das Studium der heiligen Schriften und der Kirchen-
väter setzte die Kenntnis der klassischen Sprachen
voraus. Bei deren Erlernung aber mußten die alten
heidnischen Schriftsteller mitberücksichtigt werden,
und sie wurden es um so mehr, als ihre Hinterlassen-
schaft auch für die Klosterinsassen nicht reizlos war. Auf
diesem Wege erhielten sie Nachrichten von Geschichte
und Kultur der Griechen und Römer und damit Inter-
esse für beides. In ähnlicher Weise waren auch die Bau-
meister auf die Hinterlassenschaft Roms seit der Zeit
angewiesen, da ihre Werke die Forderungen der ein-
fachen Zweckmäßigkeit überwunden hatten und man
nach vermehrter Zier verlangte. So kam es, daß noch
im. 15. Jahrhundert, florentinische Architekten, die in
römischen Trümmern nach brauchbaren Baumotiven
Nachschau hielten und einzelne Gesimse und Säulen-

köpfe zeichneten und maßen, der Schatzgräberei be-
schuldigt wurden, und daß der Wissens trieb nach den
Werken der Antike andern Mänern und sogar dem. Papst
Silvester II. den gleichen Vorwurf eintrug. Trotzdem
machte' man sich keine Bedenken daraus, derartige Zier-
stücke des heidnischen Altertums den christlichen Kirchen
direkt einzuverleiben. Infolgedessen sind heute noch be-
sonders auf dem Gebiet des alten Noricum Kirchen und
Kapellen, in deren Fassaden uns antike Skulptur werke
in größerer Zahl entgegentreten, häufig und daß man
auch in unser n Landen Inschriften und Zierstücke in
ähnlicher Weise verwendete, beweisen unter andern die
Gotteshäuser von Wettingen, Windisch und Avenches.
Nebenbei dienten Ruinenstätten wie Avenches, Vindo-
nissa und andere mehr für die Bedür fnisse weiter Gegenden
sogar als Steinbrüche, wie dies eine Inschrift an der
Kirche von Thierachern bei Thun für den Hauptort der
Helvetier und die Brüstung der habsburgischen Gruft
in der Kirche zu Königsfelden für das Castrum beweisen.
Dabei mag in ältesten Zeiten allerlei unangenehmer
Zauberspuk, den man in diesen heidnischen Denkmälern
witterte, mit ein Grund dafür gewesen sein, daß man
sie namentlich in die Fundam.ente bannte, um. davor
künftig um so sicherer zu sein, und die sogenannten Götzen-
bilder zuweilen verkehrt einfügte; mußte doch auch die
von Ghiberti in Siena gefundene und öffentlich aufge-
stellte Venusstatue als Sündenbock für allerlei Wider-
wärtigkeiten herhalten, von denen die Stadt heimge-
sucht wurde, so daß man sie heimlich auf dem. Gebiet
des feindlichen Florenz wieder einscharrte. Noch schlim-
mer aber erging es einem Venustorso aus Trier, der als
Schandmal an der Wallfahrtskirche zu St. Mathias
jahrhundertelang den Schmähungen und Steinwürfen
frommer Pilger ausgesetzt War.
Aber auch die Kenntnisse für die technischen Ver-
fahren holte man sich wieder bei der Antike. , De colo-
ribus et artibus Romanorum“ überschrieb Herakli us
im 10. Jahrhundert seine Sammlung von Anweisungen
auf diesem Gebiet. Und wenn es den mittelalterlichen
Künstlern auch nicht gelang, weder die Techniken noch
die Formen antiker Kunstwerke sich völlig anzueignen,
so zogen sie doch aus diesem Studium manches, was
ihre Arbeiten nach beiden Richtungen fördern konnte.
Schließlich wurde auch der aus den Trümmern der
Völkerwanderung gerettete Besitz an Werken der Klein-
kunst, wie Elfenbeinschnitzereien, Büchsen, Kästchen
u. dgl., zu Vorbildern für kirchliche und profane Gegen-
stände herangezogen, sofern man nicht ohne Bedenken
derartige Gegenstände selbst als Kultusgeräte direkt
verwendete. So werden zum Beispiel im Domschatz zu
Sitten eine kleine römische elfenbeinerne Handapotheke
mit der Darstellung von Hygiea und Aeskulap und
eine Elfenbeinpyxis, die etwas barbarische Nach-
ahmung einer antiken Toilettenbüchse, aufbewahrt.
Auch auf der einen der beiden im Kloster St. Gallen
befindlichen Elfenbeintafeln trugen die dem Mönch
Tuotilo zügeschriebenen allegorischen Darstellungen
von Land und Meer, Sonne und Mond noch antikes
Gepräge, und auf den Fresken aus dem Kloster Münster
in Graubünden (jetzt im Landesmuseum) erscheinen
die Engel noch in Gestalt römischer Viktorien.
Ganz besondern Wert scheint man aber den antiken
geschnittenen und geschliffenen Steinen beigemessen
zu haben. Wenn sich ihrer weltliche Fürsten zu Siegel-
stempeln bedienten, so erregte das kaum Anstoß, und
man duldete sogar, daß ein englischer Bischof mit einem
Serapiskopf als „Caput Sancti Oswaldi“ siegelte. Wo
aber solche Steine zum Schmuck von Kirchengeräten
Verwendung finden sollten, oder aus ihnen erstellte
Gefäße Kultuszwecken dienten, mußten sie zuerst
exorziert werden. Das geschah durch die Formel;,,All-
 
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