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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 4.1889

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Marx, Friedrich: Der Stier von Tiryns
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https://doi.org/10.11588/diglit.36644#0138
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verwischte in der Erinnerung des griechischen Volkes die Vorstellung von den
Achaierfürsten und Achaierburgen der Vorzeit gänzlich: nur im Epos lebten diese
Erinnerungen fort. Den Gräbern diese Könige stand man zu Thukydides' Zeit fremd
gegenüber, wie unser Volk seit langer Zeit den »Hünengräbern«, und von der Cultur
des homerischen Epos hatte man im $. Jahrhundert keine klare Vorstellung mehr.
Die Überlieferung aber setzt Völker griechischen Stamms und griechischer Religion
in die Städte von Tiryns und Mykenai. Ich habe diese Überlieferung als zuver-
lässig angenommen, obwol von berufenster Seite Einspruch gegen ihre Richtigkeit
erhoben worden ist, weil wie mir scheint, die Gründe welche gegen den griechischen
Ursprung der mykenischen Cultur vorgebracht sind, durch gewichtige Gegengründe
bedeutend in ihrer Wirkung abgeschwächt werden: haben doch sowol in der
tirynthischen Architectur wie in der mykenischen Keramik andere die Spuren
griechischen Geistes und griechischer Originalität zu erkennen geglaubt. Dafs aber
der Herrscher in der Burg von Tiryns sich einen ausländischen Meister berufen
hätte um die Wände bemalen zu lassen, läfst gerade das Bild des Stieres von
Tiryns keineswegs wahrscheinlich erscheinen. Denn der Maler des Bildes war noch
unsicher und ungeschickt, sonst hätte er der vielen Entwürfe nicht bedurft, um zum
Schlufs, wenigstens in der männlichen Gestalt, etwas so mangelhaftes hervorzubringen:
ebensowenig wird jemand annehmen wollen, dafs die Könige von Mykenai sich zu
jedesmaligem Bedarf fremde Meister von den geringen Fähigkeiten an ihren Hof
kommen liefsen, die der Verfertiger der mykenischen Grabstelen an den Tag legt.
Mit der Art der phönikischen Kunst zudem, wie wir sie aus den Silberschalen
kyprischen und mittelitaiischen Fundorts kennen, scheint doch der Stier von Tiryns
nichts gemein zu haben. Eher könnte man bei der Vergleichung dieser Darstellung
mit dem sich umwendenden Stier der ältesten Münzen des achäischen Sybaris ver-
wandte Züge Anden. Es fällt bei dieser Vergleichung besonders auf, dafs auf dem
Wandgemälde wie auf der Münze die Ohren des Stiers überhaupt nicht angegeben
sind: die beiden Hörner sind durch das Bild eines einzigen Horns ausgedrückt, das
Auge ist beidemale besonders grofs und kreisrund. Auch auf dem Münzen von
Sybaris erscheint die Brust des Tiers hoch und mächtig, die Vorderbeine auTallend
klein und niedrig im Gegensatz zu den Hinterbeinen. Der Schweif des Stiers von
Tiryns ist zweiteilig, was sich ähnlich auf vielen griechischen Darstellungen, bei-
spielsweise der chalkidischen Vase welche Herakles Abenteuer mit Geryoneus dar-
stellt vorfindet.
Die Griechen haben vielfach fremdländische Typen die ihnen der Bedeutung
nach vollständig unverständlich waren rein äufserlich herübergenommen und in
origineller Weise verändert und neu gedeutet. Eines der klarsten Beispiele sind
die männlichen Sphinxe, welche über erschlagene Feinde hinschreiten, bestimmt die
 
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