WERDEN. 41
nach lebendigem Ausdruck ist im Erstaunen der Hirten nicht zu verkennen, besonders bei
demjenigen, der noch in der Hürde weilt; selbst die Thiere sind bewegt. Classische Ruhe
weilt dagegen auf den Gestalten Maria's und Josefs bei der Krippe. Wären diese beiden
Figuren losgelöst von der sie bezeichnenden Umgebung, so würde man sie für Zeus und
Hera halten. Der in römischen Reliefen vorkommende Typus des olympischen Herrscher-
paares, wonach Zeus den einen Fuss vom Throne herabsinken lässt, Hera die Hand an den
Mund hält, ist hier beibehalten. Aber die antike Anschauung des Künstlers ist noch wei-
ter gegangen; denn ihn hält nichts ab, uns eine heidnische Lichtgottheit vorzuführen, die mit
einem Feuertopf in der Rechten in die Krippe leuchtet. Zweifelhaft kann es erscheinen, ob
jener Stab, den Josef mit seiner Rechten umfängt, ein zur räumlichen Abtheilung der Scene
dienendes architectonisches Glied sein soll, oder eine Art Stab wie ihn Zeus als Scepter zu
tragen pflegt. Das Kind liegt im ältesten Typus bis zum Kopfe eingewickelt. Die Arbeit
ist roh und wenig ausgeführt. Hohes Interesse erweckt es an und für sich, an einem Werke
der christlichen Kunst das Fortdauern der römischen Kunstanschauungen zu constatiren, und
wenn schon bei dem früheren Elfenbeine auf Taf. XVII. 1. die gewiss in der rheinischen
Colonie niemals populäre Mythe auf italienischen Ursprung schliessen liess, so konnte auch
unsere Darstellung nicht hier, sondern nur dort entstanden sein, wo die olympischen Ideale
fortlebten. Nehmen wir desshalb Italien oder Ryzanz als die Heimath dieser Elfenbeine an, so be-
weisen uns die sorgfältig angebrachten Schlösser, dass sie einen nicht gemeinen Inhalt von dort
brachten. Und dieser konnte kaum ein anderer denn ein Inhalt an Reliquien sein. Vielleicht
trug diese Rüchse einen Theil der Reliquien, welche Ludgerus mit von Italien brachte.9
7.
Romanischer Thürsturz aus schwarzem Marmor, in der Mitte 18" hoch und 4' 10 ij-iu
lang. Dieses Relief, welches ein von einem Löwen verfolgtes Reh zeigt, ward erst im vorigen
Jahre aufgefunden.10
9. Das vielfache Vorkommen typisch ähnlicher Elfenbeinbehälter italienischen Ursprunges in Deutschland
lässt vermuthen, dass man im früheren Mittelalter die Reliquien zumeist in Elfenbeinkapseln
aus Italien und Byzanz versandte.
10. Der Fund geschah bei einem Baue im Arresthause und ward uns durch den Herrn Kreisbau-
meister Kind gütigst mitgelheilt. Im Eingange zur Crypta rechts vom Chore befindet sich
noch ein Relief des Martyriums eines Heiligen aus dem 15. Jahrhundert, wie auch die Sa-
cristei noch einen indischen Elfenbeinkasten mit Elefantenreliefs besitzt.
G
nach lebendigem Ausdruck ist im Erstaunen der Hirten nicht zu verkennen, besonders bei
demjenigen, der noch in der Hürde weilt; selbst die Thiere sind bewegt. Classische Ruhe
weilt dagegen auf den Gestalten Maria's und Josefs bei der Krippe. Wären diese beiden
Figuren losgelöst von der sie bezeichnenden Umgebung, so würde man sie für Zeus und
Hera halten. Der in römischen Reliefen vorkommende Typus des olympischen Herrscher-
paares, wonach Zeus den einen Fuss vom Throne herabsinken lässt, Hera die Hand an den
Mund hält, ist hier beibehalten. Aber die antike Anschauung des Künstlers ist noch wei-
ter gegangen; denn ihn hält nichts ab, uns eine heidnische Lichtgottheit vorzuführen, die mit
einem Feuertopf in der Rechten in die Krippe leuchtet. Zweifelhaft kann es erscheinen, ob
jener Stab, den Josef mit seiner Rechten umfängt, ein zur räumlichen Abtheilung der Scene
dienendes architectonisches Glied sein soll, oder eine Art Stab wie ihn Zeus als Scepter zu
tragen pflegt. Das Kind liegt im ältesten Typus bis zum Kopfe eingewickelt. Die Arbeit
ist roh und wenig ausgeführt. Hohes Interesse erweckt es an und für sich, an einem Werke
der christlichen Kunst das Fortdauern der römischen Kunstanschauungen zu constatiren, und
wenn schon bei dem früheren Elfenbeine auf Taf. XVII. 1. die gewiss in der rheinischen
Colonie niemals populäre Mythe auf italienischen Ursprung schliessen liess, so konnte auch
unsere Darstellung nicht hier, sondern nur dort entstanden sein, wo die olympischen Ideale
fortlebten. Nehmen wir desshalb Italien oder Ryzanz als die Heimath dieser Elfenbeine an, so be-
weisen uns die sorgfältig angebrachten Schlösser, dass sie einen nicht gemeinen Inhalt von dort
brachten. Und dieser konnte kaum ein anderer denn ein Inhalt an Reliquien sein. Vielleicht
trug diese Rüchse einen Theil der Reliquien, welche Ludgerus mit von Italien brachte.9
7.
Romanischer Thürsturz aus schwarzem Marmor, in der Mitte 18" hoch und 4' 10 ij-iu
lang. Dieses Relief, welches ein von einem Löwen verfolgtes Reh zeigt, ward erst im vorigen
Jahre aufgefunden.10
9. Das vielfache Vorkommen typisch ähnlicher Elfenbeinbehälter italienischen Ursprunges in Deutschland
lässt vermuthen, dass man im früheren Mittelalter die Reliquien zumeist in Elfenbeinkapseln
aus Italien und Byzanz versandte.
10. Der Fund geschah bei einem Baue im Arresthause und ward uns durch den Herrn Kreisbau-
meister Kind gütigst mitgelheilt. Im Eingange zur Crypta rechts vom Chore befindet sich
noch ein Relief des Martyriums eines Heiligen aus dem 15. Jahrhundert, wie auch die Sa-
cristei noch einen indischen Elfenbeinkasten mit Elefantenreliefs besitzt.
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