AACHEN.
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hielt, auf welchen weittragende Beschlüsse, wie die allgemeine Einführung der Regel S. Chrode-
gangs, gefasst wurden54, ja eine grosse Zahl der Vasallen, beschenkt mit königlichem Eigen-
thum, sich niederliessen55; so blieb doch Aachen nur so lange die unverdunkelte Centraisonne
der germanischen Cultur, als die Nachfolger des grossen Carl dessen grosse schöpferische
Regier im "s weise aufrecht zu erhalten wussten. Allein da Carl's Ciilturerscheinung nicht das
Ergebniss und Spiegelbild des Zustandes seiner Zeit war sondern er als helles Einzelgestirn
dieser weit vorausleuchtele, so brach auch das lediglich auf seiner Herrscherkraft beruhende
Culturgebäude nach seinem Tode wieder zusammen, und Aachen, das zweite und neue Rom,
sank zurück. Was half es ihm, dass die Ludwige, Lothare hier residirten und es zum Zeu-
gen ihrer Familienzwiste und Schwäche machten. Wie unter diesen das Reich zerfiel, so
zerfielen auch die kaiserlichen Bauten zu Aachen56 und verminderte sich der königliche Be-
sitz daselbst zu Gunsten der Vasallen. Wras der eine gab, führte der andere im Raube hin-
weg.57 Erdbeben erschütterten die Gebäude58, und was die Ungunst veränderter Zeiten noch
verschont hatte, das fiel der Plünderung und Zerstörung der Normanen anheim: sie raubten
Palast und Kirche aus, machten die letztere zum Pferdestall, steckten ersteren in Brand und
kaum wurden die Heiligthümer vor ihnen nach Stablo geflüchtet.59 Unter Carl dem Grossen
wären sie schwerlich in die kaiserliche Pfalz gedrungen; jetzt gab man ihnen Tribut; es war
ein Tribut an die Barbarei, in die man zurückgefallen war, in welcher vor Allem die zarten
Hände der Künste wieder rauh und roh wurden, wenn auch einzelne Nachahmungen das
Beispiel des Aachener Octogon erzeugte.60
Schnell würde somit das zweite Rom als ein ephemeres Gestirn in den Schooss der
Vergangenheit gesunken sein, hätte nicht der Ehrgeiz der Ottonen mit der Idee des carolin-
gischen Weltreiches auch Aachen den alten Glanz zurückverleihen wollen. Die Idee des ca-
54. Astronomus c. 28. Regino ad an. 864.
55. Monach. S. Gall. I. c. 30.
56. Wie der Einsturz des hölzernen Verbindungsganges zwischen Kirche und Palast beweist. Astro-
nomus c. 28. Derselbe war schon im Todesjahr Carl's einmal eingestürzt. Einh. vita c. 32.
57. Als Kaiser Lothar, Ludwig's Sohn, 833 seinen Vater gefangen von Aachen führte, nahm er die
Schätze der Kirche und des Palastes mit.
58. Einhard, Jahrb. ad an. 829 u. s. w.
59. Floss p. 6. Regino ad an. 881.
60. Ottmärsheim. Schnaase, Kunstblatt 1843. No. 24. Essen: v. Quast in s. Zeitschrift. Heft I.
Von Diedenhofen (Thionville) sagt der Fortsetzer des Regino ad an. 939: Die Capelle in
Tbeodonis Villa, welche wie die von Aachen begonnen war etc. Nach Mahillon, de re diplom.
Üb, 4. p. 284, halte der Bischof Theodulf v. Orleans eine Kirche zu Germigny nach dem
Muster der Pfalzcapelle zu Aachen erbauen lassen. Prof. Bock in Brüssel spricht im Bulletin
de l'Acad. de Beige 1850 p. 45 die Behauptung aus, das Aachener Octogon sei nach einer
nach byzantinischen Mustern, 741—780, errichteten Polygonkirche in York erbaut. Analogien
bieten noch dar die Capelle zu Nymwegen, die Kirche auf dem Michelsberge bei Fulda, und
die Ruine bei Mettlach, und untergegangene Kirchen in Magdeburg und Groningen. Vcrgl.
Olte: Handbuch p. 50. Kugler, Kunstgeseh. 3. Aufl. II. p. 41.
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hielt, auf welchen weittragende Beschlüsse, wie die allgemeine Einführung der Regel S. Chrode-
gangs, gefasst wurden54, ja eine grosse Zahl der Vasallen, beschenkt mit königlichem Eigen-
thum, sich niederliessen55; so blieb doch Aachen nur so lange die unverdunkelte Centraisonne
der germanischen Cultur, als die Nachfolger des grossen Carl dessen grosse schöpferische
Regier im "s weise aufrecht zu erhalten wussten. Allein da Carl's Ciilturerscheinung nicht das
Ergebniss und Spiegelbild des Zustandes seiner Zeit war sondern er als helles Einzelgestirn
dieser weit vorausleuchtele, so brach auch das lediglich auf seiner Herrscherkraft beruhende
Culturgebäude nach seinem Tode wieder zusammen, und Aachen, das zweite und neue Rom,
sank zurück. Was half es ihm, dass die Ludwige, Lothare hier residirten und es zum Zeu-
gen ihrer Familienzwiste und Schwäche machten. Wie unter diesen das Reich zerfiel, so
zerfielen auch die kaiserlichen Bauten zu Aachen56 und verminderte sich der königliche Be-
sitz daselbst zu Gunsten der Vasallen. Wras der eine gab, führte der andere im Raube hin-
weg.57 Erdbeben erschütterten die Gebäude58, und was die Ungunst veränderter Zeiten noch
verschont hatte, das fiel der Plünderung und Zerstörung der Normanen anheim: sie raubten
Palast und Kirche aus, machten die letztere zum Pferdestall, steckten ersteren in Brand und
kaum wurden die Heiligthümer vor ihnen nach Stablo geflüchtet.59 Unter Carl dem Grossen
wären sie schwerlich in die kaiserliche Pfalz gedrungen; jetzt gab man ihnen Tribut; es war
ein Tribut an die Barbarei, in die man zurückgefallen war, in welcher vor Allem die zarten
Hände der Künste wieder rauh und roh wurden, wenn auch einzelne Nachahmungen das
Beispiel des Aachener Octogon erzeugte.60
Schnell würde somit das zweite Rom als ein ephemeres Gestirn in den Schooss der
Vergangenheit gesunken sein, hätte nicht der Ehrgeiz der Ottonen mit der Idee des carolin-
gischen Weltreiches auch Aachen den alten Glanz zurückverleihen wollen. Die Idee des ca-
54. Astronomus c. 28. Regino ad an. 864.
55. Monach. S. Gall. I. c. 30.
56. Wie der Einsturz des hölzernen Verbindungsganges zwischen Kirche und Palast beweist. Astro-
nomus c. 28. Derselbe war schon im Todesjahr Carl's einmal eingestürzt. Einh. vita c. 32.
57. Als Kaiser Lothar, Ludwig's Sohn, 833 seinen Vater gefangen von Aachen führte, nahm er die
Schätze der Kirche und des Palastes mit.
58. Einhard, Jahrb. ad an. 829 u. s. w.
59. Floss p. 6. Regino ad an. 881.
60. Ottmärsheim. Schnaase, Kunstblatt 1843. No. 24. Essen: v. Quast in s. Zeitschrift. Heft I.
Von Diedenhofen (Thionville) sagt der Fortsetzer des Regino ad an. 939: Die Capelle in
Tbeodonis Villa, welche wie die von Aachen begonnen war etc. Nach Mahillon, de re diplom.
Üb, 4. p. 284, halte der Bischof Theodulf v. Orleans eine Kirche zu Germigny nach dem
Muster der Pfalzcapelle zu Aachen erbauen lassen. Prof. Bock in Brüssel spricht im Bulletin
de l'Acad. de Beige 1850 p. 45 die Behauptung aus, das Aachener Octogon sei nach einer
nach byzantinischen Mustern, 741—780, errichteten Polygonkirche in York erbaut. Analogien
bieten noch dar die Capelle zu Nymwegen, die Kirche auf dem Michelsberge bei Fulda, und
die Ruine bei Mettlach, und untergegangene Kirchen in Magdeburg und Groningen. Vcrgl.
Olte: Handbuch p. 50. Kugler, Kunstgeseh. 3. Aufl. II. p. 41.
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