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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 32.1916-1917

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Wolf, Georg Jacob; Albiker, Karl [Ill.]: Karl Albiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.13746#0049

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Werk zu der Bindung: Monumentalität aus
starkem Gefühl für das Material. Kein Ver-
zetteln in Effekten. Weniger weiche Schönheit
als herbe Kraft. Das namentlich bei den Basler
Reliefs für Läugers merkwürdigen Küchlin-
Variete-Bau, aber auch bei der jüngsten Schöp-
fung Albikers, der Musen-Gruppe im Giebel-
feld von Curjel und Mosers Karlsruher Musik-
halle.

Die aus der Begeisterung für ostasiatische
Kunst erwachsene Groteske, die Hötgers Werk
beherrscht, liegt Albiker fern: nicht weil ihm
einleuchtende Wohltemperiertheit erstrebens-
wert scheint, sondern weil sein Gestalten ein-
fach den Gesetzen der Logik folgt und inner-
halb dieser Absteckung hinreichend Gelegen-
heit zur Entfaltung der schönsten und weitest-
reichenden Möglichkeiten findet.

Als „Bauplastiker" wirkt Albiker stark, ohne
darüber brutal oder nur massiv zu werden.
Die Reliefs für Basel z. B. sind nirgends derb,
so bewußt sie auch — über dem zweiten
Stockwerk angebracht — auf Fernwirkung be-
rechnet sind. Nichts an ihnen ist massig;
die Massen sind im Gegenteil aufgelöst in ein
graziöses System harmonierender, wie Fluten
dahingleitender Linien: sie folgen sich wie
Welle der Welle und scheinen einander zu
haschen, ständig in Bewegung und für den,
der von Ferne zusieht, doch ein einziger, ge-
schlossener Eindruck: ein steingewordenes
Meer...

Die menschliche Figur — auch darin zeigt
sich der Bauplastiker, dem der Fundamen-
talsatz von der Architektur als der Achse
der Kunst gilt — erscheint in Albikers Werk
sozusagen karyatidisch. Der säulenhafte,
schlanke Charakter des menschlichen Kör-
pers wird von ihm mit allem Nachdruck be-
tont. Steil und rank strebt ein Frauenkörper
auf: Eva vom Bamberger Domportal grüßt eine
Schar spätgeborener Gefährtinnen. Es ist ver-
haltene Bewegung in diesen Gestalten. Ein
schönes, jedoch nicht lasses, nicht träges Ruhen.
Das Spiel der Muskeln tritt auch im taten-
losen Dasein von Albikers Gestalten zutage
— es äußert sich in der feinen Durchbildung
und überzeugenden Belebung der Epidermis
dieser Albiker-Erscheinungen, in der feinen
Verteilung zuckender Lichter und kräftiger
Schatten auf der Haut der Gestallen. Das aber
nicht, um malerisch-impressionistische Wir-
kungen zu erzielen, wie es manchem Bildhauer

unserer Zeit beliebt, sondern aus rein pla-
stischem Empfinden heraus, heraus aus der
Notwendigkeit, durch Auffangen und bewußtes
Führen des Lichts die plastische Gestalt zu
geschmeidigen, ihr die Starrheit und das Ab-
gestorbene zu nehmen. Diese Albiker eigene
Art der Lichtführung ermöglicht es ihm krampf-
los dahin zu gelangen, daß eine von ihm ge-
formte menschliche Gestalt nicht als verstei-
nerter Mensch, eine Büste nicht als ausge-
füllte Totenmaske erscheint. Was einst Ruskin
über den Gegensatz von Form und Wirkung
predigte, das wird solchermaßen — ob bewußt
oder genial-instinktiv, sei unentschieden — bei
Albiker Ereignis. Die Art seiner Lichtführung,
d. h. der Gestaltung der Oberfläche geht von
der Erkenntnis aus: daß die im Stein fest-
gehaltene Form einen ganz anderen als den
natürlichen Eindruck hervorzubringen habe
und hervorbringe. Das heißt, daß Tiefen und
Höhen im Relief, Höhlung und Vorsprung in
der VollplastiknichtWirklichkeiten darzustellen,
sondern durch die Lichtverteilung Propor-
tionen zu versinnlichen und Stimmungen aus-
zulösen haben. Diese Erkenntnis besaßen vor
anderen die Aegypter, es besaßen sie nicht
weniger die Holzplastiker der Gotik, sie ging
indessen allmählich verloren im Barock und
wurde vollends im Rokoko mit seiner vernied-
lichenden Klein- und Illusionsplastik einer bil-
ligen Panoptikumswirkung geopfert. In unserem
Zeitalter war es, wie gesagt, Ruskin, der den
Gegensatz zwischen Sicht- und Tastform, zwi-
schen künstlerischer und natürlicher Körper-
lichkeit wiederentdeckte, und Albiker ist einer
der markantesten Vertreter der Sichtform und
der künstlerischen Körperlichkeit, wie er u. a.
mit seiner Kölner Brunnenfigur und dem küh-
nen Torso eines Frauenakts auf der Münchner
Secessionsausstellung von 1916 bewies. Man
setzt sich freilich mit solchen absolut künst-
lerischen Dokumentierungen heute noch der
ablehnendsten Haltung der „weitesten Kreise"
aus, die von der gewohnten verrotteten Manier,
auf die sie sich falsch eingesehen haben, um
keinen Preis ablassen wollen. Diesen Falsch-
sehern, die ganz natürlich „Anti-Albikianer"
sein müssen, widme ich einen Vers aus dem
zweiten Teil von Goethes „Faust" ins Stamm-
buch :

Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar,
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr.

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