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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 32.1916-1917

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Beringer, Joseph August; Welti, Albert [Ill.]: Albert Welti nach seinen Briefen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13746#0314

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ALBERT WELTI NACH SEINEN BRIEFEN

Von Dr. J. A. Beringer

(Schluß)

Als Vater war Welti der glücklichste Mensch.
l Stolz und Freude am Dasein und an der Ent-
wicklung seiner Kinder erfüllten ihn. Seinen
Söhnen zu Liebe überwand er die größten An-
strengungen. Auf Spaziergängen trug er seine
Kinder stundenweit auf den Schultern und bei
seinen Besuchen der italienischen Galerien
nahm er sie geduldig und unermüdet auf die
Arme. In ihnen fühlte er das Beste von sich
fortgesetzt unter glücklicheren Bedingungen.
„Wenn ich diese (meine frühen Sachen) jetzt
mit den so viel besseren Schildereien meines
Aeltesten vergleiche, der in anderer künst-
lerischen Umgebung aufwuchs, wird mir so
recht klar, wie schwer es einer hat, sich direkt
aus dem Volk zur Kunst aufzuringen." Und
zur endlich einen Monat nach der Geburt
fertig gewordenen Geburtsanzeige (Radierung)
seines zweiten Söhnchens Ruedi schreibt er
mit Zaghaftigkeit und Humor: „Unter die
Radierung sollte man schreiben: ,So gut es
ging' und dem Büblein konnte man nicht viel
zumuten beim Modellsitzen: es ging so wie
bei einem Huhn oder einer Katze, bald ein
Stück Hinterteil mit einem Bein, bald ein
Stück Gesicht und schließlich mußte man die
Sache halb aus dem Kopf machen, aber ähn-
lich ist er doch ziemlich."

Die Sorgfalt, die er diesen kleinen, aber
köstlichen „Gelegenheitsblättchen" zuwendete,
galt in noch viel höherem Maße seinen grö-
ßeren Werken. Ueberhaupt, die spielende
Leichtigkeit und die vermeintliche Unmittel-
barkeit seiner Schöpfungen sind weniger glück-
lichen Einfällen und der schnellen Nieder-
schrift einer ersten Idee zu verdanken, sie
sind vielmehr das Ergebnis sorgfältiger Er-
wägungen und peinlich ausgeglichener Durch-
arbeitungen. „Kreidolf findet, man sollte eigent-
lich nur das machen, was einem leicht aus der
Hand fließt, aber ich weiß nicht, ob er in
allen Fällen recht hat, ich glaube, man muß
auch manchmal mit dem Unbekannten ringen
und die äußersten Grenzen seines eigenen
Ichs und Vermögens kennen lernen. Böcklin
hat das doch auch getan; nur sich selber soll
man treu bleiben auf alle Fälle."

Die Arbeit an einer Schöpfung konnte sich
über Jahre hinziehen. Am vollendeten Werk
merkt man aber nichts von Ermüdung. Es
steht frisch und festgefügt als eine organische
Notwendigkeit da. Am „Glasbild" für das
Vestibül des Bundespalastes in Bern, „das

sein Schmerzenskind wird und zwei Jahre
seines Lebens nutzlos dahinrafft", hat er schwer
gearbeitet, bis es seine prachtvoll feste Fas-
sung gehabt hat. Und die fünf Skizzen und
Entwürfe bis zur letzten Fassung des „Lands-
gemeinde-Freskos" reden eine unverkennbare
Sprache, wie ernst Welti es mit seiner Kunst
nahm. Auch die Tafelbilder sind langsam und
erst nach vielen Durchgängen gereift, wie die
nun geklärten Entwicklungsreihen der „Wal-
purgisnacht", der „Penaten", des Familienbil-
des u. a. dartun. Man sah daraus, wie wenig
literarisch abhängig Welti war. Nein, Welti
benutzte wohl literarische und musikalische
Anregungen, aber er folgte ihnen nicht, son-
dern dichtete in seiner bildnerischen Sprache
weiter. Er ließ sich nicht von vorgedichteter
Poesie binden; er war und ist kein Illustrator.
Er war selbst ein Poet. Einmal war Gelegen-
heit geboten, ihm einen großen Illustrations-
auftrag zu verschaffen. Aber Welti lehnte ab,
wie er in anderen Fällen abgelehnt hatte:
„Ich werde tief unglücklich, wenn ich beim
Arbeiten auf irgend einen Text Rücksicht zu
nehmen habe und mache in diesem Falle nie
etwas, das über das Mittelmäßige hinausgeht.
Ich habe jetzt einen kleinen derartigen Auf-
trag, der mich manchmal zur Verzweiflung
treibt."

Das Reifen und Gedeihen seiner Kunst ruhte
in seinem Volkstum, in seinem Familiengefühl
und in seiner handwerksmeisterlichen Sorg-
falt für das Technische. In seinem Atelier
habe ich Cenninis Traktat über die Malerei
offen und sehr abgenutzt auf dem Arbeitstisch
liegen sehen, und Böcklins Grundsätze über
Helldunkelwirkung, Fleckenverteilung, Linien-
führung, Solidität der Arbeitsweise standen
ihm immer lebendig vor der Seele. Aber
darüber hinaus brauchte er zur Entfaltung
seines Könnens die strengste Einsamkeit des
Schaffens.

Mit bitterer Klage bespricht Welti einmal
die vielerlei äußerlichen Störungen seines
Schaffens. Die allzu zahlreichen Atelier- und
Familiengäste haben ihn aus München nach
Solln verjagt; aber auch da geht der alte,
störende Tumult wieder los, der ihn forttreibt.
„Ich finde hier keine Ruhe zum Arbeiten mehr
und werde zu viel mit Besuchen überlaufen.
Jeder junge Bursch oder Malweiblein aus der
Schweiz wird einem zugeschickt, wenn auch
manchmal natürliche und talentvolle Leute

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