prüften Küste sind, wurde Giacomino Rossi erst
gesprächig—Giacomino Rossi heißt er—,als er
durch untrügliche Antworten auf seine verfäng-
lichen Fragen herausgebracht hatte, daß ich
wirklich ein Freund des .großen Professore' sei.
„Giacomino trank mit uns von dem Weine
und begann von seinen Abenteuern zu berich-
ten. In allen Weltteilen hat ihn sein ,Beruf
herumgeschlagen. Er war in Australien, bevor
die sogenannte Zivilisation dahin kam, und er
kannte Süd- und Nordamerika. In seiner Er-
zählung gab es einige dunkle Punkte, so oft
ich nach der Zeitbestimmung frug.....
„Giacomino Rossi konnte heftig werden, aber
dabei war er das gutmütigste Kind von der
Welt. Ja, es brauste in ihm auf, wenn er daran
dachte, daß seine Frau ihn betrog und daß er
in die weite Welt fuhr, und daß er dann an
ungezählten Weibern seine Rache kühlte. Zu-
letzt hatte er das Unglück — o misericordia! —
gerade bei einem guten Fang vom Schiffsmast
zu fallen und sich das Bein zu brechen. Und
seither konnte er seinen Beruf nicht mehr aus-
füllen. Böcklin sagte von ihm: ,Ein Seeräuber,
aber er tut es nicht mehr.'
„Nach diesem Schicksalsschlag war Giaco-
mino Rossi auf die kleine Jagd, die Strand-
räuberei und den Schmuggel angewiesen. Die
Unbehilflichkeit des Alters! Aber ein Licht-
glanz in seinem Leben war der junge Maler,
der einmal zu ihm kam und bei ihm wohnte
und öfter wiederkam, nachher mit seiner gan-
zen Familie. Giacomino Rossi fand, daß es
einträglicher und bequemer für seine ge-
schwächten Beine sei, von seinem jedenfalls
erräuberten Hause ein Stockwerk dem Pittore
abzugeben, mit dem er nachher ein wirkliches
herzliches Freundschaftsverhältnis anspann .. .
„Die fremden Herren möge der Professore
nicht leiden, aber mit ihm, dem Giacomino,
sitze er gerne, die kurze Pfeife rauchend, ganze
Abende zusammen.
„Die Anhänglichkeit an den ,Professore'
rührte mich, und ich hätte damals — es war
1893 — gewünscht, es wären unter den Leuten,
die man nicht als Seeräuber ansieht, eben
solche Männer aufgetreten, die für Böcklin zu
sprechen wagten.....
„Man kann sich vorstellen, mit welchem
ingrimmigen Vergnügen Böcklin die Freund-
schaft dieses ausgedienten Seeräubers genoß
und sich sowohl an seinen wahren, wie an den
abenteuerlichen, mit dem den Dingen inne-
wohnenden Ergänzungsvermögen bereicherten
Geschichten ergötzte, wenn sie zusammen
abends auf der Bank saßen und dem Farben-
spiel auf dem erblassenden Meer zuschauten,
dabei tüchtig rauchend. Böcklin war ein starker
Zigarrenraucher; Giacomino zog die Pfeife
vor, und deshalb pflegte der Künstler gewissen-
haft die abgeschnittenen Zigarrenspitzen, sowie
die nicht ausgerauchten Stummel in seiner
Westentasche zu sammeln, nicht um Heiden-
kinder damit zu kleiden, oder zum Christen-
tum überführen zu helfen, sondern um die
Pfeife seines alten Seeräubers damit zu füttern.
„Mit Giacomino ist Böcklin aufs Meer hin-
ausgegangen, und von ihm lernte er das Meer
mit den einfachen Augen anschauen, die der
unverdorbene Naturmensch noch hat, der es
nebenbei mit Männermord, Frauenraub und
erträglicher Beute nicht so ganz genau nimmt.
Ueber das Morden, das er übrigens nicht mehr
übte, seit er den Beruf wegen des Falls vom
Mast und seiner Gebrechlichkeit aufgeben
mußte, dachte Giacomino ungefähr so, daß er
bedauernd konstatierte, es habe eben jeder
Beruf seine Schattenseiten. Gemordet hat er
nie aus Mutwillen, sondern immer nur dann,
wenn es die ,Situation' mit sich brachte. Da-
gegen verschwieg er nicht, daß er als junger,
kraftstrotzender Mensch den Frauenraub als
eine Art Sport betrieb.
„Es dunkelte im kahlen Gemach; die Lichter
auf der See erloschen, und Giacomino brachte
eine Ampel, bei deren Schein meiner an den
Verkehr mit italienischen Räubern nicht ge-
wöhnten Gattin erst recht gruselig wurde . . .
„Wir stiegen die finstere Treppe hinunter
und verabschiedeten uns von Giacomino: ,Auf
Wiedersehen morgen!'
„Gespenstig stand das alte Kastell von Lerici
vor uns im Lichte der bleichen Mondessichel,
und Böcklins von Seeräubern Überfallene Burg
war vor mir, als sie eben die letzten Weiber
aus dem brennenden Schloß herunterschleppten.
Des Malers jetzt von der Welt so hoch ge-
rühmte Phantasie war etwas anderes: das Auge,
die ,Sachen' zu finden und sich in sie hin-
einzuleben. Denn noch allemal war die Wirk-
lichkeit viel phantastischer in ihren Erfindungen
als die größte Künstlerphantasie."
Eine Ruine am Meer („Burgruine an einer
steilen Felsküste") von 1895, die später durch
Fleiner zunächst in die Sammlung Henneberg in
Zürich gekommen ist, verwertet die Erinnerun-
gen an das Kastell von San Terenzo, das dem
von Lerici gegenüberliegt; die „Kapelle" von
1898 verdankt ihre Entstehung offenbar der
Ruine einer Kirche aus dem 13. Jahrhundert,
die am Vorgebirge von Porto Venere steht und
der überraschende Ausblick, der dort dem Be-
sucher auf die ligurische Küste zuteil wird, ruft
die Erinnerung an Schöpfungen wach, mit de-
nen Böcklin die italienischen Küsten im Feuer
der ersten Begeisterung verherrlicht hatte.
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gesprächig—Giacomino Rossi heißt er—,als er
durch untrügliche Antworten auf seine verfäng-
lichen Fragen herausgebracht hatte, daß ich
wirklich ein Freund des .großen Professore' sei.
„Giacomino trank mit uns von dem Weine
und begann von seinen Abenteuern zu berich-
ten. In allen Weltteilen hat ihn sein ,Beruf
herumgeschlagen. Er war in Australien, bevor
die sogenannte Zivilisation dahin kam, und er
kannte Süd- und Nordamerika. In seiner Er-
zählung gab es einige dunkle Punkte, so oft
ich nach der Zeitbestimmung frug.....
„Giacomino Rossi konnte heftig werden, aber
dabei war er das gutmütigste Kind von der
Welt. Ja, es brauste in ihm auf, wenn er daran
dachte, daß seine Frau ihn betrog und daß er
in die weite Welt fuhr, und daß er dann an
ungezählten Weibern seine Rache kühlte. Zu-
letzt hatte er das Unglück — o misericordia! —
gerade bei einem guten Fang vom Schiffsmast
zu fallen und sich das Bein zu brechen. Und
seither konnte er seinen Beruf nicht mehr aus-
füllen. Böcklin sagte von ihm: ,Ein Seeräuber,
aber er tut es nicht mehr.'
„Nach diesem Schicksalsschlag war Giaco-
mino Rossi auf die kleine Jagd, die Strand-
räuberei und den Schmuggel angewiesen. Die
Unbehilflichkeit des Alters! Aber ein Licht-
glanz in seinem Leben war der junge Maler,
der einmal zu ihm kam und bei ihm wohnte
und öfter wiederkam, nachher mit seiner gan-
zen Familie. Giacomino Rossi fand, daß es
einträglicher und bequemer für seine ge-
schwächten Beine sei, von seinem jedenfalls
erräuberten Hause ein Stockwerk dem Pittore
abzugeben, mit dem er nachher ein wirkliches
herzliches Freundschaftsverhältnis anspann .. .
„Die fremden Herren möge der Professore
nicht leiden, aber mit ihm, dem Giacomino,
sitze er gerne, die kurze Pfeife rauchend, ganze
Abende zusammen.
„Die Anhänglichkeit an den ,Professore'
rührte mich, und ich hätte damals — es war
1893 — gewünscht, es wären unter den Leuten,
die man nicht als Seeräuber ansieht, eben
solche Männer aufgetreten, die für Böcklin zu
sprechen wagten.....
„Man kann sich vorstellen, mit welchem
ingrimmigen Vergnügen Böcklin die Freund-
schaft dieses ausgedienten Seeräubers genoß
und sich sowohl an seinen wahren, wie an den
abenteuerlichen, mit dem den Dingen inne-
wohnenden Ergänzungsvermögen bereicherten
Geschichten ergötzte, wenn sie zusammen
abends auf der Bank saßen und dem Farben-
spiel auf dem erblassenden Meer zuschauten,
dabei tüchtig rauchend. Böcklin war ein starker
Zigarrenraucher; Giacomino zog die Pfeife
vor, und deshalb pflegte der Künstler gewissen-
haft die abgeschnittenen Zigarrenspitzen, sowie
die nicht ausgerauchten Stummel in seiner
Westentasche zu sammeln, nicht um Heiden-
kinder damit zu kleiden, oder zum Christen-
tum überführen zu helfen, sondern um die
Pfeife seines alten Seeräubers damit zu füttern.
„Mit Giacomino ist Böcklin aufs Meer hin-
ausgegangen, und von ihm lernte er das Meer
mit den einfachen Augen anschauen, die der
unverdorbene Naturmensch noch hat, der es
nebenbei mit Männermord, Frauenraub und
erträglicher Beute nicht so ganz genau nimmt.
Ueber das Morden, das er übrigens nicht mehr
übte, seit er den Beruf wegen des Falls vom
Mast und seiner Gebrechlichkeit aufgeben
mußte, dachte Giacomino ungefähr so, daß er
bedauernd konstatierte, es habe eben jeder
Beruf seine Schattenseiten. Gemordet hat er
nie aus Mutwillen, sondern immer nur dann,
wenn es die ,Situation' mit sich brachte. Da-
gegen verschwieg er nicht, daß er als junger,
kraftstrotzender Mensch den Frauenraub als
eine Art Sport betrieb.
„Es dunkelte im kahlen Gemach; die Lichter
auf der See erloschen, und Giacomino brachte
eine Ampel, bei deren Schein meiner an den
Verkehr mit italienischen Räubern nicht ge-
wöhnten Gattin erst recht gruselig wurde . . .
„Wir stiegen die finstere Treppe hinunter
und verabschiedeten uns von Giacomino: ,Auf
Wiedersehen morgen!'
„Gespenstig stand das alte Kastell von Lerici
vor uns im Lichte der bleichen Mondessichel,
und Böcklins von Seeräubern Überfallene Burg
war vor mir, als sie eben die letzten Weiber
aus dem brennenden Schloß herunterschleppten.
Des Malers jetzt von der Welt so hoch ge-
rühmte Phantasie war etwas anderes: das Auge,
die ,Sachen' zu finden und sich in sie hin-
einzuleben. Denn noch allemal war die Wirk-
lichkeit viel phantastischer in ihren Erfindungen
als die größte Künstlerphantasie."
Eine Ruine am Meer („Burgruine an einer
steilen Felsküste") von 1895, die später durch
Fleiner zunächst in die Sammlung Henneberg in
Zürich gekommen ist, verwertet die Erinnerun-
gen an das Kastell von San Terenzo, das dem
von Lerici gegenüberliegt; die „Kapelle" von
1898 verdankt ihre Entstehung offenbar der
Ruine einer Kirche aus dem 13. Jahrhundert,
die am Vorgebirge von Porto Venere steht und
der überraschende Ausblick, der dort dem Be-
sucher auf die ligurische Küste zuteil wird, ruft
die Erinnerung an Schöpfungen wach, mit de-
nen Böcklin die italienischen Küsten im Feuer
der ersten Begeisterung verherrlicht hatte.
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