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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 32.1916-1917

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Bode, Wilhelm von: Der Wandel des Geschmacks an älterer Kunst durch die Richtung der modernen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.13746#0231

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Jahrhunderts kommt mit dem Erlahmen der
schöpferischen Kraft die stärkere Anleh-
nung an die ältere Kunst und damit auch
der Sinn für diese und die Lust am Sam-
meln ihrer Erzeugnisse. Die Bilder Cor-
reggios, der namentlich in Frankreich das
vergötterte Vorbild bis an das Ende des
Jahrhunderts blieb, waren vor allen gefeiert
und gesucht. Mit dem Erstarken der klein-
bürgerlichen Genremalerei, namentlich in
Deutschland, entstand die Vorliebe für die
Gemälde der holländischen Malerei, deren
Hauptwerke damals in die Galerien von
Paris, Petersburg und Dresden und in die
englischen Privatsammlungen gelangten. Die
großen englischen Porträtmaler dieser Zeit,
denen A. van Dyck das Vorbild war, brach-
ten auch die Werke dieses Künstlers zur
besonderen Schätzung.

Eine ganz neue Richtung der Sammler
und der Begeisterung für alte Kunst begann
mit der französischen Revolution, mit ihren
Raubzügen, denen die systematische Aus-
plünderung der Kunstsammlungen und Kir-
chenschätze durch Napoleon die Krone auf-
setzte. Diese gewalttätige Anhäufung der
Kunstschätze aller Art und aller Zeiten hatte
mit der Richtung der gleichzeitigen Kunst
wenig zu tun; das „Musee Napoleon" war
in erster Linie ein Tempel der Kunsttro-
phäen aus den Eroberungszügen des kor-
sischen Kaisers, dessen Beispiel seine Ge-
neräle so gut wie die englischen Befehls-
haber nachzuahmen wußten.

Kaum auf einem anderen Gebiete war
die Umwälzung durch die französische Re-
volution so einschneidend wie im Gebiete
der Kunst, namentlich der Malerei, welche
mit allen Traditionen brach. Die gründliche
Umkehr führte zurück zu den Vorbildern
der Antike, namentlich zur römischen Pla-
stik; dadurch waren die Anfänge der neuen
Malerei, sowohl in Deutschland wie in Frank-
reich, so verschieden sie voneinander waren,
selbständiger und von der älteren Malerei
weniger abhängig, als die Kunst in dem
letzten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhun-
derts gewesen war. Dieser Anschluß an die
antike Kunst führte gleichzeitig zu neuer
begeisterter Schätzung der klassischen Ma-
lerei der Renaissance, aber auch der Aka-
demiker, welche man ohne großen Unter-
schied fast gleich hoch bewertete. Die
bekannten Werke der Carracci, Dome-
nichino, Poussin, Claude u. a., die um 1815
bis 1830 meist aus Italien nach England
kamen, wurden bis zu 100000 Mark und
mehr bezahlt, fast ebenso hoch wie die Ge-

mälde von Raffael, wenn diese ausnahms-
weise noch in den Handel kamen.

Der Ueberdruü an dieser äußerlichen,
oberflächlichen und geschraubten Hascherei
nach der großen Form einer toten Kunst,
die man nicht verstand, und das Bedürfnis
nach Verinnerlichung und Vertiefung führ-
ten zu der durch mehrere Jahrhunderte tief
verachteten mittelalterlichen Kunst zurück.
Die Romantik brachte die Anerkennung, ja
eine geradezu schwärmerische Verehrung
der primitiven Malerei; in Deutschland durch
die Nazarener vor allen für die frühen
Niederländer, die alten Italiener (namentlich
Perugino) und die Altdeutschen, in England
später durch die Präraffaeliten für dieselbe
Schule, ganz besonders aber für Sandro
Botticelli.

Schon daneben und zum Teil im Gegen-
satz dazu kommt in der neueren Malerei
eine naturalistische Strömung zum Durch-
bruch, von England ausgehend und dann in
Frankreich weiter entwickelt, welche die
alte Vorliebe für die realistischen Schulen
der Holländer und Flamen wieder zu voller
Herrschaft bringt. Wie Delacroix an Rubens
sich begeisterte, so hat die Schule von Bar-
bizon mit ihrer „paysage intime" und haben
in Frankreich Meissonier, Fromentin u. a.,
in Deutschland Künstler wie Achenbach
und Knaus das Verständnis für die hollän-
dische Landschaft und Kleinmalerei und
die Lust am Sammeln ihrer Werke wieder
erweckt. Ein charakteristisches Zeichen die-
ser Zeit war es, daß in der Versteigerung
Delesjert in Paris 1869 ein Bild von David
Teniers mit 159000 Frank bezahlt wurde,
während eine der reizvollsten kleinen Ma-
donnen Raffaels, die Madonna des Herzogs
von Orleans, 9000 Frank weniger erzielte.
Es war auch ein Maler dieser Richtung,
Eugene Fromentin, welcher in seinen „Mai-
tres d'autrefois" die treffendsten und begei-
sterten Worte für die Malerei der Holländer
und Niederländer fand. Schon Fromentin
feiert einen Künstler, dessen Verehrung eine
neue Richtung der modernen Malerei an-
kündigt: Frans Hals. Seine tonige Prima-
behandlung, namentlich in seiner späteren
Zeit, wurde für die realistischen Künstler
wie Courbet, Leibi u. a. vorbildlich. Wie
der Geschmack für seine Porträts und all-
mählich auch für seine Genrefiguren aus
dem Volke auch beim Publikum rasch zu-
nahm, beweisen die Preise für seine Bilder.
Noch in den vierziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts erwarb die Berliner Galerie
zwei treffliche lebensgroße Brustbilder des

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