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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 32.1916-1917

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Josef Weiss
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josef weiss

abend (holzschnitt)

JOSEF WEISS

Von H. E. von Berlepsch-Valendas

An „Bekleidungs-Akademien" figuriert die
jTx. Erwerbung gewisser anatomischer Kennt-
nisse wohl da und dort im Lehrprogramm.
Ziemlich vereinzelt jedoch dürfte der Fall sein,
daß das Zuschneiden von Einzelstücken des
Kleides den Mann der Nadel und Schere zu
tiefergehenden Körperbetrachtungen anregt, ihn
veranlaßt, in Mußestunden vor dem Spiegel die
Muskel- und Knochenstruktur des eigenen Lei-
bes zu studieren, daraus Schlüsse auf den Zu-
sammenhang des Ganzen, also auf das Künst-
lerisch-Organische zu ziehen.

Josef Weiss bildet ein Beispiel dafür. Er
ist, weder „ein reicher Knabe" noch „ein ar-
mer Schlucker", der Sohn eines zuerst in
München, dann zu Planegg im eigenen Häus-
chen wohnenden Schneidermeisters. Kein Vor-
fahre hat ihm nachweisbar vererbt, was ihm
Bedeutung verleiht. Die Sternschnuppen künst-
lerischer wie menschlicher Bedeutung fallen
eben ganz unberechenbar, und sind weder an
Geburt noch an Herkommen, Gott sei Dank,
gebunden. — Dem handwerklich tüchtigen
Vater schien es selbstverständlich, daß sein
filius nach Absolvierung der Volksschule We-
sen und Eigenart eines handwerklichen Be-
rufs in regelrechter Lehrlingszeit kennen lerne.

Josef war keines jener Wunderkinder, an
denen Eltern, Tanten und andere Autoritäten
schon in der Periode häufig gewechselter Win-
deln alle möglichen Talente entdecken. Das
bleibt den höher gebildeten Klassen vorbehal-
ten. Niemand weissagte ihm, daß die Stunde
komme, wo er mit vollem Recht sprechen dürfe:
„Anch'io sono pittore"! — Was Kunst und
Künstler anging, so zog der Vater die Schaf-
fung einer „sicheren Existenz" vor. Nichts
lag ihm ferner, als die von großen Hoffnun-
gen geschwellte Widmung seines Sprößlings
an irgend ein hochgelegenes Ziel. Die erste
Etappe bildete ein Lehrjahr in einer bekann-
ten Münchner Ziselierwerkstätte. Zu sehen
gab's bei Steinicken & Lohr an vortrefflichen
Zeichnungen wie an ausgeführten Arbeiten
mancherlei. Der Beruf mußte jedoch einer
Bleivergiftung halber aufgegeben werden. Auf
meine Frage, gelegentlich einer unserer täg-
lichen Unterhaltungen: „Haben Sie schon in
jener Zeit allerlei gezeichnet?" antwortete er
mir lachend: „Ja, wenn die Mutter aus der
Zeitung von irgendeinem Unglück in den Ber-
gen las, zeichnete ich wohl, senkrecht abstür-
zend, den Kopf voran, so einen alpinen Un-
glücksvogel, zu seiner Seite Alpstock und

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