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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 35.1919-1920

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Rothes, Walter: Parallelen in der Kunst des Mittelalters und der Frührenaissance zum modernen Expressionismus, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14153#0044

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„Neuen Münchener Secession", Albert Weis- Seitenstück zu Hodlers Parallelismus. Schon-
gerber, beruhte, das zu erweisen braucht nur gauer steht mit seiner kraftvollen Liniensym-
an sein gefeiertes Gemälde „Jeremias" und an bolik selbstverständlich im Mittelalter nicht allein,
seine vielen Sebastiansbilder erinnert zu werden. Dürer verwertet solche am eindrücklichsten in
Kars, Kirchner, Pechstein, Schiele, Schmidt- seiner Holzschnittfolge zur Apokalypse, wo ja
Rottluff sind noch ein paar Namen von vielen, schon das Thema, das nur Visionen festhalten
die hier als besonders typisch herausgegriffen will und dem alles Körperliche Schimäre ist,
werden könnten. Daß die Entkörperlichung, reiner Ideenexpressionismus ist. In mittelalter-
die „Unnatürlichkeit" der durch ihre Konturen liehen Miniaturen finden wir eine ganze Anzahl
solche lineare Wirkungen erzwingenden mensch- besonders auffallender Gegenstücke zum „Linien-
lichen Figuren und sachlichen Kulissen bei den kultus" unserer Modernsten. Blätter wie der Zug
modernen Expressionisten meist viel weiter geht Herzog Heinrichs in der Manesse-Handschrift,
als bei den mittelalterlichen Meistern ist sekundär wie die Initiale L (. iber generationis) aus dem
gegenüber der Tatsache, daß die berechnete Kom- Evangeliar des Johann von Troppau werden an
bination beseelter Linien in beiden Fällen den Bild- Linienkompliziertheit und Linienausdruck kaum
ausdruck gebärt. Man erkenne die fein empfun- von irgendwelcher modernen Leistung über-
dene Diagonallinie, die auf Schongauers „Großer troffen werden. Der Parallelismus in den Stand-
Kreuztragung" der unter der Kreuzeslast zu- arten, trabenden Rossen, reitenden Rittern, in
sammenbrechende Heiland im Bildganzen bildet dem Blatte des Codex Balduini Trevirensis „Kai-
und wie der hastig auf ihn losstürzende und ser Heinrich VII. auf seinem Zuge nach Neapel"
schlagende Scherge diese Diagonallinie wieder- ist geradezu verblüffend „hodlerisch".
holt, um ihre Bedeutung zu bekräftigen, zu (Der Schluß folgt)
typisieren. Da haben wir ein mittelalterliches

FRITZ SCHERER AM LEUCHTTURM

Münchner Glaspalast-Ausstellung

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