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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 35.1919-1920

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Kurth, Willy: Berliner Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14153#0430

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BERLINER AUSSTELLUNGEN*)

Den Anfang machte diesmal die Freie Seces-
sion. Man scheut sich, ihr noch den Unter-
titel : Ehrenpräsident Max Liebermann zu geben;
zu schmerzlich ist die Erinnerung an das große
Ausstellungsjahrzehnt von 1900 — 1910, das unter
seiner Führung stand, wenn man das innerlich
gleichgültige Getue sieht, welches sich diesmal
ganze Säle hindurch breitmacht. Wenn es nach
Faust zwei Rechte gibt: das Recht der Tra-
dition und das Recht, das mit uns geboren
wird, so entsteht daraus aber nur eine For-
derung, beide auf die Höhe einer Qualität zu
führen. Leider spürt man von dieser Höhe
der Kunst nichts. Die Qualität ist nur wenig
in diesen Räumen zu finden. Diejenigen, die
sich das Recht der Tradition nehmen, haben
sich die Forderung zu stellen, die Qualität auf
der überkommenen Stufe zu halten. Nur in
zwei Porträts Liebermanns selbst weht noch
ein frischer Hauch der einst erworbenen freien,
malerischen Kultur. Allein seine impressioni-
stischen Nachfahren treten recht kopfhängerisch
in ihren Räumen auf. Sie scheinen das Wett-
rennen mit der Jugend, die nur das Recht,
das mit ihr geboren ist, anerkennt, aufgegeben
zu haben. Man könnte hierin eine weise Zu-
rückhaltung erblicken, und die vornehme Ge-
sinnung, nur durch ruhige Qualität zu wirken,
loben. Sicherlich hätten sie gar nicht mehr
aufbringen brauchen als das kleine Kabinett,
das ihre Arbeiten enthält. Kein besserer Be-
weis hätte den Programmisten, den mit der
Gesinnung laut Gestikulierenden, gegeben wer-
den können von dem Recht und Wert jener
Existenz als durch die Qualität ihrer Werke.
Sie fehlt gänzlich. Man erschrickt, wie schnell
die Malkultur des Impressionismus sich ver-
flüchtigen konnte, und erkennt, wie sehr auch
diese große Zeit von dem unmittelbaren Vor-
bild, von der lebenerregenden Spannung des
Wettkampfes ihrer Führer getragen wurde und
den Nacheifernden hochhob. Da nun Lieber-
mann die Kampfspannung verloren, Slevogt
sich zurückgezogen, Corinth an anderer Stelle
wirkt, fehlt das Zentrum.

Und doch trägt ihre Anhängerschaft noch
eine andere Färbung als das eilfertige Mit-
läufertum, das sich dem Expressionismus an-
geschlossen hat und die Bewegung peinlichst
diskreditiert. Diesem Mitläufertum gehört die
Ausstellung an. Keine Ausstellung kann besser
sein als die Künstler, die sie beschicken und
angenommen werden. Es ist müßig, darüber
nachzudenken, wie die Ausstellung wohl hätte

•) Über die Ausstellung der Secession berichten wir im
nächsten Heft.

aussehen können, wenn die Jury so und so
gehandelt hätte. Höchstens zwei bis drei kleine
Säle wären dann zustande gekommen. Ent-
schieden wäre dies besser gewesen für die Kunst.
Für die Künstlergruppe der Freien Secession
wäre es aber auch zugleich eine Liquidation
gewesen. Und doch trägt sie noch die besten
Namen des Expressionismus in ihren Reihen.
Aber außer Marcs Tieren, deren tieferregtes
Urdasein sich hie und da mit Formen begnü-
gen muß, die heraldischen Kunstgewerbestili-
sierungen nahekommen; außer Campendonks
unschuldigen Ausdrucksphantasien und Heckeis
neuen Versuchen trägt kaum etwas anderes
einen ernsten Willen zur Qualität zur Schau.
Ein dummer Naivismus fordert „nur Gesinnung".
Als ob sie vom Streben nach Qualität über-
haupt zu trennen wäre? Ein arroganter In-
tellektualismus fordert Gefühl und Ausdruck
des Absoluten. Als ob man dies fordern kann,
wo man es doch höchstens ahnen kann und
in strengster Qualität versuchen kann, es zu
erreichen. So steht hier das Ziel am Anfang;
d. h. an Stelle des Strebens ist das fertige Pro-
gramm getreten. Vor zehn Jahren, als es zum
ersten Male erschien, horchte man auf. Die
Formulierung war als Antithese zum Impres-
sionismus interessant. Heute ist es ein Gemein-
platz geworden und besonders abgeschmackt
im Munde derer, die ihren Willen nicht in der
Qualität einer reifenden Gestaltung haben sicht-
bar machen können. Wenn die guten Künstler
dieses starken und wie es scheint stark deut-
schen Kunstwollens, des Expressionismus, nicht
bald den Mut finden, das Mitläufertum durch
strengste Jury von ihren Ausstellungen fern
zu halten, könnte der ganze Sinn ihres Kunst-
wollens verdunkelt werden, das doch der Mei-
nung ist, daß der „Ausdruck" nicht so wohl-
feil zu erhaschen ist wie der „Eindruck".

Einst stand Secession und „Große Berliner
Kunstausstellung" sich nur als Qualitätsunter-
schied entgegen. Der Impressionismus wollte
nur Malkultur; während der Berliner Glaspalast
sein kleines Können ängstlich hütete. Heute
sind die Programme bei ihren Ausstellern ver-
schieden, aber die Qualität ist die gleiche ge-
worden; leider die gleiche schlechte. Unter
diesem heißen Glasdach gedeihen jetzt partei-
los Radikalismus und Konservatismus neben-
einander. Novembergruppe und Akademie mit
Verein Berliner Künstler in holder Eintracht
nebeneinander, eng verbunden durch die An-
spruchslosigkeit auf Qualität. Noch immer tape-
ziert die akademische Rechte ganze Säle mit
ihren getreuen Vereinsmitgliedern, so daß die
soliden Könner wie Dettmann es schwer haben,
gesehen zu werden. Und auf der kommuni-

Die Kunst für Alle XXXV.

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