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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 35.1919-1920

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Braungart, Richard: Alfred Cossmanns Radierungen zu Gottfried Kellers "Landvogt von Greifensee"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14153#0046

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vollendeten entzückenden zehn Radierungen zu
Gottfried Kellers Novelle „Der Landvogt von
Greifensee" (aus den Zürcher Novellen). Wer
dieses klassische Musterbeispiel einer graziösen
und dabei wohldisziplinierten, den erstaunlich-
sten Reichtum an Einfällen aller Art anschei-
nend mühelos bewältigenden Erzählungskunst
kennt, wird zugestehen, daß sie Künstler von
Phantasie in ganz besonders hohem Grade zum
„Illustrieren" reizen muß. Die Situationen, die
sich bildlich, mit dem Stift, fassen ließen, sind
so zahlreich, daß es sich weit eher darum han-
delte, wo aufhören, als etwa, wo anfangen. Und
man kann sich gut vorstellen, daß ein Künst-
ler von normalem Illustrationsinstinkt zu dem
Mittel gegriffen hätte, die Hauptmomente in
ganzseitigen Einschaltbildern und alles übrige
in vielen kleinen, in den Text gestreuten Skizzen
festzuhalten.

Alfred Coßmann nun hat die lockende Auf-
gabe in vollkommen anderer und, wie man zu-
geben wird, sehr geistreicher Form gelöst. Viele
werden wissen, daß Coßmann einer der Haupt-

meister des dekorativen, epigrammatischen, mar-
kenartigen Exlibris ist. Er versteht es vortreff-
lich, eine Fülle von Bezüglichkeiten, Symbolen
und Hinweisen in einer zeichnerisch streng ge-
bundenen, dekorativen Formel zu konzentrieren;
und es ist bewundernswert, wie sich in diesen
Blättern der Klarheit des Gedanklichen eine
außergewöhnliche Klarheit und Reinheit der
Form (des graphischen Stils) gesellt. Diese Ex-
libris also in ihrer Eigenschaft als planvolle
Bindungen verschiedenartigster, auseinander-
strebender oder sich suchender Elemente stel-
len die Grundform für Coßmanns ungewöhn-
lich originelle neue Keller-Radierungen dar.
Es galt auch hier, wenn die Fülle des dar-
stellungsfähigen Stoffes nur einigermaßen be-
wältigt werden sollte, auf jedem Blatt mög-
lichst viel und vielerlei zu einer ideellen und
graphischen Einheit zusammenzufassen. Und
die Struktur der Novelle begünstigte diese Ar-
beitsweise. Da konnte man z. B. auf einem
Blatt zunächst einmal den Herrn Landvogt
selbst „illustrieren". Ein Rokokorahmen — die

Die Kunst für Alle XXXV.

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