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Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 6.1905-1906

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Ein Ruhepunkt in der Entwicklung der modernen angewandten Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.6481#0063
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Titel-Vignette von Erwin Gadomski.

EIN RUHEPUNKT IN PER LNTWlCKLUNQ

PER m9pf_RNEN ANGEVaNpTeN KUNST

dämmert allgemach die Erkennt-
nis, daß nicht im Ungewöhnlichen der
Fortschritt unserer «angewandten Kunst»
begründet ist, sondern im Zweckmäßigen,
Soliden, Daseinssicheren. Nach Jahren
wilden Hastens und Jagens scheint die
Stunde ruhigen Besinnens zu nahen. Die
Rücksicht auf den Bedarf des Lebens
fordert ihre langgehöhnten Rechte wieder.
Der wilde Rausch ist verflogen, die
dämonische Besessenheit ausgetrieben.
Wir sehen wieder ehrlich und redlich
schaffende Menschen mit all' ihren
Schwächen und Vorzügen. Wir genießen
sogar das Augurnlächeln ohne seinen
einstigen üblen Beigeschmack.

Die angewandte Kunst soll nicht für
ein Utopien bestimmt sein, sondern für
das Leben, wie es heute ist — und des-
halb muß auch die Rücksicht auf die Ver-
hältnisse und Anforderungen des Lebens
einen wesentlichen Faktor bilden. Ge-
wissermaßen eine «innere Angelegenheit»
wird aber die Schöpfung der Raumkunst
immer bleiben, das Erkennen der Be-

ziehungen zwischen Raumgröße und
Lichtquelle, zwischen Raum und Gegen-
stand und dgl. mehr.

Die deutsche «angewandte Kunst»
soll aber auch wieder wirklich deutsch,
«wurzelecht und bodenständig» werden.

Die jungen Münchner Innenarchitekten
und Raumkünstler haben eine interessante
Ausstellung angewandter Kunst — u. zwar
die erste in dieser Art — im Studiengebäude
des neuen Nationalmuseums veranstaltet,
die von ihren nächsten Freunden als «gut
münchnerisch» bezeichnet worden ist.

Man glaubt einen Augenblick seinen
Ohren nicht trauen zu dürfen! «Gut
münchnerisch!» Aber man hört auch
ferner, daß die jungen Raumkünstler es
nicht unter ihrer Würde finden, zu er-
klären, sie seien nur die durch die Gewalt
der Zeitverhältnisse organisch umgewan-
delten Seidl, Seitz und Genossen, und
daß sie es sehr übel vermerken, wenn
die dummen Münchner Bierphilister «diesen
natürlichen Gang der Dinge» nicht so
ganz natürlich finden.

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