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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 19.1869

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Staatshülfe und Selbsthülfe: auf dem Gebiete der Kunstindustrie
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Zeitschrift

des

Kunst -Gewerbe-Vereins.

Neunzehnter Jahrgang.

München._Ws 2._ 1869.

Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Kunstbeilagen. Die Vereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich. Im Buch-
handel kostet dieselbe 4 fl. s. W. — 2 Thlr. 12 Sgr. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. - 2 Sgr. für den Raum einer gespaltenen
Petitzeile berechnet. Sk and ig e Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von

Theodor Ackermann dahier wenden.

Staatshülfe und Selbsthülfe

auf dem Gebiete der Kunstiiidustrie.

L. So lautet der Titel einer kleinen, sehr lesenswerthen
Schrift, welche Dr. G. Schwabe auf Veranlassung des Vorstandes
des Berliner Gewerbe-Museums verfaßt hat. Or. Schwabe spricht
sich über die große Bedeutung der Kuustindustrie für die wirth-
schaftliche und gesellschaftliche Stellung der Arbeiterbevölkeruug, daun
über die gegenwärtige Leistungsfähigkeit der Kunstindustrie, sowie
über die Mittel aus, durch welche jene Leistungsfähigkeit insbeson-
dere in Deutschland gesteigert werden könne. Der große Wettkampf
der Nationen auf den Weltausstellungen bildet den Ausgangspunkt
seiner Betrachtungen. In den Augen des Verfassers spielt die
Kunstindustrie der Gegenwart auf der Bühne der Weltausstellungen
nicht gerade eine glänzende Rolle. Ucber die Erzeugnisse, welche
dem französischen Gcschmacke ihr Dasein verdanken, läßt er sich
also vernehmen: „Das Recept des modernen französischen Ge-
schmackes besteht etwa aus folgenden Ingredienzien: Man nimmt
als nationale Tradition und deßhalb als Hauptbestandthcile die
Style der drei Ludwige, welche mit beweglicher Phantasie in immer
neuen Combinationen, oft krampfhaft aufgefrischt und reproducirt
werden; daneben, zur Abwechslung Pflegt man entweder gelegentlich
antike Reminiscenzen oder besser zur Befriedigung des nach Neuheit
lechzenden Modeteufels, als wirksamere Reizinittel ägyptische, assyrische,
maurische, chinesische, japanesische und sonstige Motive eventuell ge-
mischt, ins Treffen zu führen. Außerdem gebraucht man mit großer
Virtuosität die Farbe und innerhalb derselben gleichsam als deco-
ratives Universalmittel Blumen und allerhand Kräuter naturalistisch
dargestellt bis zur Verkrüppelung durch Jnscctenstiche. Voilit tout!
das wirklich Bestechende hierbei ist nicht die Composition, sondern
das äußere coloristische Element, das savoir-vivre, mit dem jeder
Gegenstand auftritt, ich möchte sagen seine Toilette." Die deutsche
Kunstindustrie kommt bei dem Verfasser des vorliegenden Schrift-
chens noch schlimmer weg, als die französische. Er bekennt, daß er
Wort für Wort folgende Aeußerungcu Jakob Falke's unterschreibe:
„Vom Standpunkte der Kunstindnstrie und des Geschmackes war
die ganze deutsche Section, Preußen mitinbegriffen, die uninteressan-
teste und langweiligste Abtheilung auf der ganzen Pariser Ausstellung.
Nicht, als ob keine Kunstindustrie vorhanden gewesen wäre, im Gegen-
theil, es fand sich von allen Arten etwas, aber der Charakter war
es, der Mangel an Frische, Schwung, Originalität, die Theilnahm-
losigkeit in dem rüstigen Kampfe, der sich jetzt auf diesem Gebiete
rührt, das war es, was den Arbeiten der deutschen Kunstindustrie
alles Interesse nahm." Dr. Schwabe selbst erklärt sich die Er-
scheinung, daß die französische Industrie, obwohl sie in direktem
Widerspruch mit der neuen Geschmackswandlung steht, doch den Markt
beherrscht, daraus, daß der wichtigste Faktors der die Pariser Ar-
tikel überall einschmeichelt, in der Virtuosität besteht, mit der die
Franzosen die Farben zu handhaben verstehen. Er zieht daraus,

daß die Farben in so großer Ausdehnung in Frankreich die Schwächen
der Industrie zu verdecken fähig seien, den Schluß, daß sie von
größter Bedeutung sein müssen, und daß keine Anstalt, die das Beste
der Industrie im Auge habe, ihren Cultus veruachläßigen dürfe.
Als abschreckendes Beispiel des Farbenhasses schildert er ein Ber-
liner Gesellschaftsziinmer: „man findet weiße Tapeten, weiße Vor-
hänge, weißgestrichene Thüren und Fenster, einen weißen Ofen,
eine weiße Stubcndccke, weiße Tischtücher mit weißen Tellern —
kurz das Auge sucht wie in der Wüste vergeblich nach einem far-
bigen Gegenstand, der innerhalb des faden Weiß wohlthuend wirkt."

Da wir nun gesehen haben, wie Dr. Schwabe das Krankheitsbild
der gegenwärtigen Kunstindnstrie gezeichnet hat, so wollen wir auch
noch einen Blick auf die Heilmittel werfen, durch welche ein frisches,
gesundes Leben auf dem bczeichueten Gebiete wieder herbeigeführt
werden soll. Als solche durch Staatshülfe und Selbsthülfe zu schaffende
Heilmittel bezeichnet I)r. Schwabe:

1) Die Aufnahme eines wirksamen Zeichenunterrichts in das
System des Volksunterrichts;

2) die Erweckung des Schönheitssinnes und die Geschmacksbil-
dung des großen Publicums durch öffentliche Museen für
industrielle Kunst;

3) die Heranbildung tüchtiger industrieller Künstler durch mög-
lichst ausgebrcitete Errichtung guter Kunstschulen, die nach
einem einheitlichem Plane, wie ihn das Keusington-Museum
als Centralinstitut aufstellt, operiren.

Das ist alles ganz gut; aber wenn eine wirkliche Heilung ein-
treten soll, daun muß in den betreffenden Unterrichtsanstalten eine
Umwandlung des Geschmackes, von welcher Dr. Schwabe auch spricht,
den Schülern eingepflanzt werden. Diese Umwandlung kann aber
nicht darin bestehen, daß man das Alte nur stylgerechter nachahmt,
als es die Franzosen thun. Wenn die Schüler nicht angehalten
werden, au stylvollen Dingen zu lernen, wie sie ihre eigenste Be-
gabung gebrauchen sollen, dann arbeiten sie trotz aller scheinbaren
Regelrichtigkeit doch styllos; denn der wahre Styl kann ohne frisches,
eigenes Lebcnsgefühl dessen, der ihn anwendet, gar nicht existiren.
Der Verfasser dieser Zeilen hat von einem schlichten, aber ausge-
zeichneten Manne des Kunstgewerbes, welcher lange nur nach den
Zeichnungen Anderer arbeiten mußte, welcher aber die Kraft in sich
spürte, selbst Etwas zu schaffen, das Wort gehört: ich möchte selbst
Schöpfer sein! So sollte auch unsere Zeit ausrufen: ich will nicht
blos nachahmen, ich will selbst Schöpfer sein! Wir kommen ganz
gewiß nicht weiter, wenn wir nicht das Verlangen nach Neuheit
kunstgewerblicher Gegenstände als ein berechtigtes ansehen; es wäre
darum gut, wenn sich Viele an der Arbeit betheiligen würden, das
gesunde Neue aufzusuchen, zu enträthselu und einzubürgern, damit
das schöne Neue zugleich mit jenem zum Vorschein komme. Dann
erst wird die Umwandlung des Geschmackes zu einer festen, für die
Dauer lebensfähigen Form gelangen. Wenn aber der Einzelne sich
als einen selbstständigen Schöpfer auf einem so edlen Gebiete, wie
 
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