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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 19.1869

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Schmädel, Josef von: Styl und Zweck: eine Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.9045#0019

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Zeitschrift

des

Kunst-Gewerbe-Vereins.

Neunzehnter Jahrgang.

München. ~~ 1 r 4' «. _ 18697

Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Kunstbeilagen. Die Bereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich. Im Buch-
handel kostet dieselbe 4 fl. s. A>. rn 2 Thlr. 12 Sgr. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. — 2 Sgr. für den Raum einer gespaltenen
Petitzeile berechnet. S t and ig e Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von

Theodor Ackermann dahier wenden.

Styl und Zweck.

Eine Studie von I. v. Schmädcl.

Wem möchten wohl die lebhaften, man könnte beinahe sagen
nervösen Bestrebungen entgangen sein, die seit dem Jahre 1867,
dem Jahre der internationalen Weltausstellung in Deutschland Platz
gegriffen haben, um das Kunstgewerbe aus dem Zustande trost-
loser Sterilität und gedankenloser Jmitationssucht herauszureißen,
das Kunstgewerbe, das so recht dazu geschaffen ist, dem Arbeiter die
möglichst günstige soziale Stellung zu verschaffen und das so ganz die
Kraft in sich birgt, dem inneren Wesen, dem Fühlen und der Eigen-
thümlichkeit einer Nation aus ihrem Kerne, aus dem eigentlichen
Volke heraus idealen Ausdruck zu verleihen.

Das Erkennen des Zurückgebliebenseins war allgemein und
man kann uns nicht vorwerfen, daß nichts geschehen sei, den be-
gangenen Fehler wieder gut zu machen und das Kunstgewerbe auf
jenen Standpunkt zu erheben, welcher ein unserer Kraft wür-
diger wäre. Wir Deutsche haben dazu das Zeug in uns, und,
wenn wir auch nie den seinem Wesen nach sanguinischen und leicht-
lebigen Franzosen an geistreichen spielenden Ideen, und an be-
stechender Repräsentation derselben übertreffen werden, so können
wir ihm doch durch tiefinnige Auffassung und gründlichen Ausdruck
den Vorsprung abgewinnen.

Das haben unsere Altvordern bewiesen und so Gott will,
werden auch deren Nachkommen es wieder zeigen. Mögen alle
Samenkörner, die man jetzt in reicher Menge auszustreuen beginnt,
gute Früchte tragen und der deutschen Industrie wieder jenen
Stempel der Kunst aufdrücken, der sie schon früher adelte und zum
Stolz der Nation machte.

Unser Verein hat durch seine Constituirnng und durch die Art
und Weise seines Wirkens schon vor Jahren gezeigt, daß die Miß-
stände, die das Gebiet unserer Kunstindustrie lange Zeit beherrschten
in jenen Kreisen, die als die Repräsentanten des Kunstgewerbes
zu gelten haben, längst empfunden wurden; und der Anschluß solcher
Mitglieder, die als Freunde und Gönner dessen Bestrebungen unter-
stützten, hat bewiesen daß auch im weiteren Publikum die Versuche
zur Hebung des Kunstgewerbes Unterstützung und Anklang fanden.
Doch war immerhin der Kreis ein kleiner; die eigentliche Popularität
der vom Münchner Kunstgewerbverem seit vielen Jahren verfolgten
Tendenzen für die Hebung der Kunstindustrie datirt erst aus dem
Jahre 1867, in welchem der nationale Ehrgeiz und die gesteigerte
Empfindlichkeit der Deutschen die Entdeckung des Uebertroffenseins
von Seite anderer Nationen ans einem Gebiete machte, auf dem
gerade wir Deutsche schon so Hervorragendes und Großartiges ge-
leistet haben. Es ist also jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo wir
durch Verwerthung unserer bedeutenden Kräfte einem nationalen
Bedürfnisse unter die Arme greifen und an dessen Realisirung Mit-
arbeiten müssen. Denn es genügt hier nicht allein ein Erkennen
des Thatbestandes, sondern systematisches, auf anerkannt praktischen

Grundlagen basirendes Handeln muß jene Ideen zur Hebung und
Förderung der Kunstindustrie realisiren, die bereits in großen Grund-
zügen im Hinblick auf die durch die Erfolge des Auslandes und
durch unsere Mißerfolge gemachten Erfahrungen festgestellt sind.
(Wir verweisen hier aus die Prinzipien der Gewerbemuseen des
In- und Auslandes und insbesondere ans das Programm des neu
zu gründenden Gewerbemuseums in Nürnberg). Darum mag es
seine Berechtigung haben, Detailfragen, welche in die Verkettung
jener Grundideen eingreifen, zu erörtern und dadurch am Ausbau
des Ganzen mitthätig zu sein.

Der Verfasser dieser Zeilen wurde vor Kurzem von einem
seiner Bekannten, der das beneidenswerthe Loos hat, Privatier und
Kunstfreund zu sein, eingeladen, sein neues „ganz im gothischen
Style eingerichtetes Zimmer", wie er sagte, in Augenschein zu nehmen,
oder vielmehr zu bewundern. Das Zimmer war durch bleigefaßte
Fenster mit eingelassenen Glasmalereien beleuchtet, die Decke war
so weit es die herrschende Dunkelheit erkennen ließ, durch Rippen,
deren Profile, wie versichert wurde, ganz genau nach den vorhan-
denen aus früheren Jahrhunderten gewählt waren, in Polygone
Felder getheilt, die Wände erschienen genau nach alten vorhandenen
Mustern getäfelt, die Tische, Stühle, Kästen re. standen als der
getreue Abklatsch von solchen herum, deren man sich ungefähr vor
400 Jahren bediente; Alles war stylgemttß, Alles war gothisch.

Doch die Stühle waren für Riesen welche vielleicht Ladstöcke
verschluckt hatten, construirt; die Bettlade war so hoch, daß man
einer eigenen gothischen Leiter bedurft hätte, um sie zu erklimmen;
der ächte Ofen konnte nicht geheitzt werden, weil er rauchte und
nicht zog; der Schreibtisch mochte wohl in einer Zeit genügt haben,
in welcher man Namensunterschriften mit dem Schwertknauf stem-
pelte; die Fensterscheiben hatten das Gute, daß man nicht herein,
aber den Mißstand, daß man nicht hinaussehen konnte; allerorts
blieb man hangen; das Meublement stand überall gerade da, wo
es eigentlich nicht hätte stehen sollen; kurz Alles war befohlener
Massen gothisch, aber auch durchaus Allem widerspechend, was man heut
zu Tage an einfachem, gewöhnlichem Comfort verlangen kann und
auch verlangt. In dieser Beziehung konnte der Verfasser dieses
Aufsatzes einer Dame wahrhaftig nicht unrecht geben, deren Gemahl
ein stylgemüßes Wohnhaus zu bauen im Begriffe stand, und die
sich in seiner Gegenwart feierlichst verbat, daß in ihren Gemächern
Etwas ohne ihre Anleitung stylgcmäß zur Ausführung gebracht
werde; denn, sagte sie, vor lauter Styl wäre es wahrhaftig nöthig,
daß man selbst zum Style würde.

Man mag über diese Zeilen lachen — aber es ist so, und
wenn wir gerade diese Seite berühren, so geschieht es deshalb, weil
von den zwei Grundübeln der Neuzeit, welche ans den Gebieten
der Architektur und der mit ihr eng verschwistcrten Kunstindustrie
herrschen, das eben besprochene Grundübel, welches wir, um dem
Kinde einen Namen zu geben, S t y lz o P f e r e i nennen wollen, minde-
stens ebensoviel, wenn nicht noch mehr schadet, als das andere
 
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