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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 19.1869

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Schmädel, Josef von: Styl und Zweck: eine Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.9045#0020

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Grundübel,welches als Styllosigkeit sich breit macht. Die Styl-
losigkeit hat in der Neuzeit so üppig gewuchert und hat sich so
verrannt, daß das verwersende Urtheil schon jetzt über diese Rich-
tung gefällt ist und daß sie in Zukunft kaum mehr bedeutenden
Schaden bringen wird. — Haben wir es doch dieser Richtung zu
verdanken, daß die jungen Architekten und Kunstindustriellen die
herrlichsten, monumentalen (wenn wir so sagen dürfen) Musterkarten
vor Augen haben, wie man nicht bauen und nicht Kunstindustrie
treiben soll.

Was nun die Stylzopferei betrifft, so halten wir diese, wie
schon ausgesprochen wurde, für so nachtheilig, daß es sich der Mühe
lohnt, ihre Schädlichkeit zu untersuchen und näher zu beleuchten.
Es bildet diese das Extrem der Styllosigkeit und „die Extreme be-
rühren sich" heißt das alte Sprüchwort. Denn zugleich mit dem
Hervortreten der Styllosigkeit machte sich auf der gegnerischen Seite
die Stylzopferei mit aller Energie bemerkbar. Diese letztere Richtung
hatte nun allerdings das Gute, daß durch sie bewiesen wurde, daß
alte Formen, wenn auch in unpraktischer und nicht zeitgemäßer
Weise verwerthet, immer noch der absoluten Styllosigkeit den Rang
streitig zu machen im Stande seien. Aber nun kommen wir auf den
großen Nachtheil, den diese Contremine der Styllosigkeit ausüben
mußte und auch wirklich ausgeübt hat. Denn durch ihr starres
Festhalten an schon vorhandenen Formen hinderte sie jede freie
Entwickelung des künstlerisch schaffenden Geistes und es konnte von
gegnerischer Seite der folgende Satz als annehmbar aufgestellt
werden: Aus Allem, was in der Neuzeit in streng stylgemäßer
Form geschaffen worden sei, gehe hervor, daß es, um die Bedürf-
nisse der Jetztzeit auf Grund ihres ungeheuren Fortschrittes in allen
Zweigen der Wissenschaft und Industrie zu befriedigen, nothwendig
sei, durch Erfindung von neuen, absolut originellen Formen jenen
Fortschritt auch auf die Architektur und Kunstindustrie zu über-
tragen, mit dem Althergebrachten gänzlich zu brechen, und kurz ge-
sagt, einen neuen Styl zu erfinden. Doch hiebei vergaß man
gänzlich eine Definition des Begriffes „Styl" zu geben, und
glaubte in der kunterbunten Zusammenstellung von allerhand nied-
lichen Formen und zierlichen Sächelchen, von welchen Niemand
eigentlich anzugebeu wußte, warum und zu welchem Zwecke sie an-
gebracht seien, die Grundlage für einen neuen Styl geschaffen zu
haben.

Doch was ist Styl? Styl ist die Durchführung irgend eines
Kunstwerkes auf Grund aufgestellter allgemeiner Prinzipien, die,
ohne als solche aufgegeben werden zu können, den Charakter aller ein-
zelnen Theile des Kunstwerkes bestimmen. Oder um klarer zu
sprechen, es ist Styl der konstruktive Grundgedanke eines Kunst-
werkes, auf welchen alle Theile desselben zurückgeführt oder durch
welchen alle Theile wenigstens motivirt werden können. — Wir
sind uns der Consequenz dieser Definition wohl bewußt und stellen
demgemäß die Behauptung ans, daß es falsch sei, von einem jonischen,
einem dorischen, einem korinthischen Style zu sprechen, und daß es
richtiger wäre, wenn hier von verschiedenen Unterarten Eines clas-
sischen Styles gesprochen würde. Denn es ist der konstruktive
Grundgedanke der Säulenstellung mit ihrem Gebälke, welcher als
System alle die dorischen, jonischen, korinthischen Kunstwerke beherrscht
und nur in verschiedener Weise und in verschiedener Form in den
einzelnen Unterarten desselben Styles zum Ausdrucke gelangt. Stellen
wir dem gegenüber den gothischen Styl, so ist es der constructive
Grundgedanke des Spitzbogens und der Polygonen Grundrißformen
mit ihren Uebereinanderstellungen und dadurch bedingten Ueber-
schneidungen, durch welchen er als originellen Styl sich geltend macht,
und es ist falsch, von einem frühgothischen, spätgothischen, englisch
gothischen Styl zu sprechen; denn alle diese sogenannten Style sind
nur Unterarten des eigentlich gothischen Styles; sie sind verschiedene
durch die Zeit- und Territorial- und Sozialverhältnisse re. bedingte
Ausdrucksweisen eines und desselben Grundgedankens.

Nun ist aber die Gesammtsumme der fortwirkenden Grundge-
danken , welche den Kuusterzeuguissen aller Völker aus allen Zeiten

zu Grunde liegen, eine sehr geringe, während die Verschiedenheit
ihrer Ausdrucksweisen eine unendliche ist und noch sein kann.

Es ist selbstverständlich, daß sich aus alledem der Satz ableiten
läßt: Es sei falsch, ohne Styl zu arbeiten und ebenso falsch, nur das als
Styl gelten zu lassen, was in den Schöpfungen der Alten an
Formen der Jetztzeit überliefert worden ist. Denn ohne Styl,
ohne einen einheitlichen Grundgedanken kommt nur ein Kunterbunt
der Formen ohne jegliche Charakterisirung und Motivirung zu Stande;
ohne Freiheit im Ausdrucke eines Grundgedankens hingegen wird
nur leere Imitation und Unzweckmäßigkeit hervorgebracht. Hätten die
Alten bei ihrem natürlichen Stylgefühl die Mittel besessen, welche heut zu
Tage die Wissenschaft und Industrie dem Künstler an die Hand
geben, und mit welchen dieser unumschränkt die originellsten Ideen
seines Schöpfergeistes zum Ausdrucke bringen könnte, und wären
sie zugleich der Hauptsache nach ähnlichen Einflüssen wie nun die
neuen Generationen unterworfen gewesen, so wird Niemand zweifeln,
daß sie wie gesagt bei ihrem natürlichen Stylgefühl die alsdann ent-
sprechenden Grundgedanken für ihre Kunsterzeugnisse in Formen
gegossen hätten, welche vollständig stylgemäß, aber auch neu, originell
und zweckentsprechend gewesen wären. — Es sind also zwei Dinge
die wir, unserer Definition gemäß den modernen Kunst erzeugnissen
zu Grunde legen möchten, nämlich den in origineller Form zum
Ausdrucke gebrachten Styl sowie den fortwährend ins Auge gefaßten
Zweck. Denn derjenige, der keinen Styl bekennt und seinen Schöpfungen
zu Grunde legt, wird seinen Erzeugnissen wohl einigermassen zweck-
mäßige aber keine wirklich künstlerische, durch einen Grundgedanken
motivirte Formen zu Grunde legen können, wahrend andererseits
der Anbeter alles dessen was bereits existirt und der Verdammer
jedweder neuen Ausdrucksweise fortwährend mit seinen hergebrachten
und den Zwecken der Vergangenheit in stylgemäßer Weise ange-
paßten Formen sowie zugleich mit dem Zwecke seines neuzuschaffenden
aus den modernen Bedürfnissen entsprungenen Erzeugnisses in Col-
lision kommen wird.

Wir haben nun bei dieser zuletzt angestellten Vergleichung vor-
ausgesetzt, daß sowohl der ohne Styl als auch der mit Stylzopferei
schaffende Künstler davon ansgegangen sei, seine Produkte möglichst
zweckentsprechend zu machen und haben dabei gefunden, daß der
Eine einem Menschen gleiche, der um einen Satz auszusprechen, sich
bald eines deutschen, bald eines französischen, bald eines
englischen oder auch eines ganz neu geschaffenen Wortes bediene,
während der Andere wohl Eine Sprache, Ein System be-
nützt aber ausschließlich nur jene Worte als zum Ausdrucke dien-
liche erachtet, welche einer seinen speciellen Anschauungen oder viel-
mehr seinem Steckenpferde am meisten entsprechenden Zeitperiode
angehören. Nun gibt es aber auch Leute, und es gibt deren in
der Neuzeit sehr viele, welche glauben, sie hätten ein Kunstwerk
geschaffen, wenn sie entweder ganz neue oder alte früheren Zeit-
Perioden angehörige Formen zu einem Ganzen zusammengeleimt
und für das Auge gefällig gruppirt haben, ohne sich dabei eines
konstruktiven Grundgedankens bewußt geworden zu sein, oder
ohne dem Zwecke des Erzeugnisses ihrer genialen Phantasie
Genüge geleistet zu haben, lind diese Leute gleichen jenen Thoren
die einerseits glauben, sie hätten ein neue Sprache geschaffen, wenn
sie wohlklingende Laute ohne Sinn und Zweck zusammenstellen,
oder anderseits meinen, sie hätten die Sprache eines Volkes ver-
gangener Zeiten inne, wenn sie deren Worte in sich aufnehmen
und in buntem Kauderwelsch wieder von sich geben, lieber diese
Gattung von Künstlern zu sprechen, lohnt nic^t weiter der Mühe;
sie sind ein akutes Geschwür, das rasch von selbst vergehen wird.

Derjenige der wirklich Künstlerisches stylgerecht und zweckmäßig
in origineller Form schaffen will, muß also vor Allem die konstruk-
tiven Grundideen der künstlerischen Richtungen der Vorzeit kennen
gelernt, und muß studirt haben, wie diese Grundgedanken in man-
nigfaltige, den ehemaligen Zwecken und Verhältnissen entsprechende
Formen gebracht worden sind. Er muß ferner zuerst den Zweck
des zu schaffenden Werkes in Betracht ziehen, sodann den für die
 
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