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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 19.1869

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Miller, Friedrich: Fabrikwesen im Kunstgewerbe und der Bronceguß der Alten
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Kuhn, ...: Ein Lederkästchen: aus dem National-Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.9045#0044

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der Gesammtform des Ganzen und nie sehen wir das Beiwerk zur
Hauptsache werden. So kommt es, daß an dem einfachsten Gefäß,
an der schmucklosen Lampe, an dein Gewichte, wie es an der Waage
hängt, die Technik, die vertheuernde Arbeitskraft und Zeit fast Null
ist, während der Gedanke, die Erfindung allein den Werth des
Materials zu verdoppeln und zu verzehnfachen wußte.

Nicht der größere Reichthum der Ornamentirung ist in solchem
Falle das Unterscheidende; das Mechanische des Gusses ist im Ge-
gentheil häufig vereinfacht; dagegen sind die glatten Flächen mit
eingelegten Ornamenten reich geschmückt, die erhabenen Theile sorg-
fältig ciselirt. — Der Hauptwerth wurde dadurch von dem Material
hinweg auf jenen Theil der Arbeit verlegt, die eine Vervielfältigung
nicht gestattete und der Gegenstand selbst wurde dadurch aus der
Reihe fabrikmäßig erzeugter Waare kenntlich ausgeschieden. Es
dürfte hier die Vielseitigkeit der Legirungen zu erwähnen sein, wie
sie zum Zwecke des Einlegens verwendet wurden, deren ich nicht
weniger, denn sechs von verschiedener Farbe an einer einzigen Arbeit
fand. —

Unabhängig von all' dieser Technik blieb aber die Schönheit
der Form immer oberstes Gesetz, mochte nun das Stück zu hundert-
maliger Wiederholung bestimmt sein oder mochte es für sich allein
die Arbeit ganzer Jahre fordern. Hierin aber glaube ich, daß der
wesentlichste Unterschied von damals und heute liegt. Sind
wir gewohnt, die künstlerische Form nur da zu suchen, wo auch
die Ausführung eine außergewöhnlich sorgsame ist, so müssen jene
Arbeiten im Gegentheil uns überzeugen, wie die edle Form, die
Erfindung gerade da am wichtigsten erscheint, wo der technische
Antheil, die Arbeit an jedem einzelnen Stück eine nur geringe ist.
Die Bedeutung des Künstlers gerade für den Fabrikanten, kann
darum nicht laut genug betont, es kann nicht oft genug auf das
Falsche jener Ansicht hingewiesen werden, nach welcher die Kunst
der Billigkeit und Praktischen Ausführbarkeit feindlich gegenüber
steht. Die Kunst wird im Gegentheil der Technik ein mächtiger
Bundesgenosse sein, wenn beide in gleicher Weise dem Material
sich anzuschmiegen, und sich zu ergänzen wissen. Indem die Fabrik-
arbeit die einmal schön erdachte Form im Volke tausendfältig ver-
breitet, wird sie dadurch auch beitragen, daß Verständniß und Ge-
schmack wieder zum Gemeingut werde, und sie wird dem Kunstge-
werbe damit den Boden bereiten, auf dem dasselbe erst wieder
frische Wurzel fassen und die frühere Bedeutung in allen Zweigen
industriellen Schaffens zurück erringen kann.

Ein Lederkästchen

aus dem National-Museum.

Von Professor Kuhn,

Conservator des bayer. Nationalmuseums.

Unsere moderne Zeit wird von der Geschichte mit Recht als
die Zeit des Fortschrittes charakterisirt werden müssen. Auf allen
Gebieten des geistigen, materiellen und politischen Lebens herrscht
eine fieberhafte Unruhe und Hast, die althergebrachten Fesseln zu
sprengen und alle lästigen Bande abzustreifen, um die Freiheit
der Individuen und die unbeengteste Lebensthätigkeit der großen Or-
ganismen zu gewinnen und zu erhalten. Aber die neue Aera,
welcher wir entgegengehen, kann doch nicht von den Errungenschaften
früherer Jahrhunderte absehen und dieselben ignoriren, am aller-
wenigsten auf unserem, dem kunstgewerblich technischen Gebiete. Es
giebt einmal keine Sprünge im geistigen und culturgeschichtlichen
Leben und werden sie doch gemacht, so sind es nur Salti mortali,
welche nichts vorwärts bringen, sondern zurückwerfen. Aber es
ist hier nicht Zeit noch Ort, mich darüber weiter auszulassen, und
ich beschränke mich nur auf unser eigenthümliches Feld. Unsere
Künstler für technische und industrielle Zwecke und die Meister des
Kunstgewerbes wissen recht gut, daß wir aus das innigste mit dem
früheren Cnlturlcben zusammenhängcn und in den verschiedenen

Perioden desselben, einen nie versiegbaren Schatz heben, aus welchem
immer in Fülle zu schöpfen ist. Was haben denn alle Versuche
einen neuen Styl zu schaffen, zu Wege gebracht? — Und was
machten die Entwürfe unserer Architekten, die Originalzeich-
nungen für unsere industriellen und kunstgewerblichen Etablissements
so interessant und was erwirbt ihnen den Beifall der Zeitgenossen?
Nichts anders als wenn sie im Geiste der jeweiligen Cultur-
periode empfunden, im reinen Style derselben gehalten sind, und
mit einem richtigen Verständnisse der anzuwendenden technischen
Mittel ausgeführt werden. Aber wie oft zerbrechen wir uns heut
zu Tage noch den Kopf über die Art und Weise der Technik, mit
welcher dieser oder jener Gegenstand aus früherer Zeik zum häus-
lichen Gebrauch ausgeführt ist? Unsere Zeitschrift bringt die Ab-
bildung eines Lederkästchens im Nationalmuseum aus dem 15. Jahr-
hundert, welches durch seine reizende Behandlung der Ornamen-
tirung der Flächen unsere vollste Beachtung verdient; die Technik
ist nicht mehr üblich, sie ist verloren gegangen dadurch, daß man
sich mit der zur damaligen Zeit gleichlaufenden Lederpressung be-
gnügte, welche in den späteren noch flacher gewordenen Jahrhunderten
durch die gepreßte Pappe ganz verdrängt wurde. Aber wie reizend
ist die Plastik unseres Kästchens von braunem Kalbsleder! Beschauen
wir uns erst die Darstellungen der verschiedenen Seiten.

Auf dem Deckel haben wir die Wappen der Nürnberger Pa-
trizier Faniilien Tilher und Jmhof flott hingeworfen. Dadurch
haben wir zu gleicher Zeit Anhaltspunkte für die Zeit seines Ent-
! stehens, da wir wissen, daß im Jahre 1494 eine Heirat zwischen
Gliedern dieser Familie stattfand, ferner für den Zweck seiner Ver-
wendung, daß es als Schmuckkästchen für die Braut diente, end-
lich auch dafür, daß es von einem Nürnberger Meister gefertigt
wurde. Die Schloßseite zieren zwei kräftige Löwengestalten, welche
ihre rechte Pranke aus das Schloß legen und in prächtig gearbei-
tetes Laubwerk hineinragen, die andere Längenseite füllen Elcphant
und Einhorn (die Sinnbilder der Keuschheit), die eine Schmalseite
Hirsch und Reh, die andere ein geflügelter Drache und Hase —
alle Figuralien zwischen reichem Blättergeranke stehend, in welches
gerade sowie an den alten Stickereien die stylisirten Schweife der
Thiere übergehen. Ebenso umgibt breites Blattornameut den untern
Deckelrand. Man sieht wie gut der Meister seine Syinbolik für
den beabsichtigten Zweck gewählt hat, aber ebenso vortrefflich ist
auch die Ausführung, die Ranken des Blattwerkes, einzelne Körpcr-
formen der Thiere, die heraldischen Zierrate sind vollständig frei
herausgearbeitet und treten ganz plastisch hervor, so daß wir eine eigene
Technik annebmen müssen, ivelcher wir später nicht mehr begegnen.
Und doch scheint sie ziemlich verbreitet gewesen zu sein, wie manche
Reste in den verschiedenen Museen Deutschlands, Frankreichs und
Englands anzunehmen berechtigen. Freilich ist auch der Umstand
zu erwägen, daß das kunstgeübte und gewerbflcißige Nürnberg
seine Produkte in alle Länder und nach allen Himmelsgegenden
versandte, so daß eine nähere Untersuchung und Vergleichung der
vorhandenen Exemplare erst darüber volle Gewißheit geben wird,
von welchem Lande oder von welcher Stadt diese Technik zuerst
ausging. Ucbrigens war VioIIot-I.o-vue so glücklich das Recept
i dieser Technik in irgend einem alten Werke wieder aufzufinden, und
hat dasselbe in seinem trefflichen Dictioiinaire du mobilier fran-
Seite 379 veröffentlicht. Ich gebe es im Interesse unserer
Kunstgewerbswclt in Uebersetzung:

Man macht zuerst eine Form für den Gegenstand aus gut im
Ofen getrockneten Linden- oder Buchenholz, welche jedoch aus mehreren
Theilen besteht; dann nimmt man die beste Kalbshaut, welche man
finden kann und läßt sie längere Zeit in Lohwasser gerben. Das
Wasser muß öfters erneuert werden. Nach einigen Wochen spannt
! man diese so präparirte Haut auf einen geglätteten Stein, schabt
alle Haare ab, und glättet sie mit dem Schabeisen. Diese Opera-
! tion muß öfters wiederholt werden; erst dann läßt man die Haut
in einem abgeschlossenen Trockenraume, niemals aber an der Sonne
| trocknen. Im Sommer braucht nian hiezu etwa acht Tage. Hier-
 
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