Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 26.1877

DOI Artikel:
Schmädel, Josef von: Ueber den Einfluß der Kunst und des Kunsthandwerks auf die Erziehung der Phantasie, [2]: Vortrag gehalten am 29. Januar 1877 im Kunstgewerbeverein Münchens von J. v. Schmaedel, Architekt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6908#0064

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
■h 61 -1

HL

Heber den influß der unst und des unfthandwerkes

—M auf die Erziehung der Phantasie. §»-

<319.

r> o r t r a <3

gehalten

am 29. Januar J877
im Kunstgewerbeverein
Münchens

X v. Zchmaedel,

Architekt.
(Schluß.)

st es da zum Staunen, wenn es Leute gibt, die sich Künstler, Maler nennen
und die uns als Geschenk für unsere j?hantasie Dinge bieten, die es
uns unmöglich machen, dabei auch nur einen vernünftigen Gedanken
zu denken. Oder woher kommen sie denn, jene dutzendweisen zwar
technisch vollendeten aber dabei so geistesarmen und phantasielosen Produkte
unserer modernen Genre- oder besser Modellmalerei? Es ist das treulose
verlassen der Phantasie, wodurch wir auf solche Abwege gelangen —-
es sind dies die Resultate der Unterbindung des Lebensnerves der Kunst.
Und blicken wir weiter, greifen wir hinüber in das Reich der Töne, auf
das Gebiet der Musik. — In welch' trauriger Gesellschaft müssen wir
sie finden! Zum Sklavendienste des Gemeinen hat man sie erniedrigt
und heute noch duldet man's, daß sie gezwungen wird, den Triumph-
karren der Zote mit ihren Melodien zu umgaukeln und so das Gift, das
man dem Volke bietet, genießbar und darum noch giftiger zu machen.
Ja, so weit ist es gekommen, daß man den Künstler, der es
wagte, den idealen Gedanken zu denken, durch die wahre Vereinigung der j?c>esie und bildenden
Kunst mit dem Reiche der Töne einen gewaltigen Faktor für die Erziehung der Phantasie zu
schaffen, daß man den Künstler des Wahnsinns zeihte und öffentlich zum Narren erklärte. — Mag
es da wohl ein Räthfel sein, wenn der, der diesen Gedanken gedacht und zu verwirklichen suchte,
im Bewußtsein der Bedeutung seiner Idee zum Verächter seiner Mitwelt wird und den Isolirschemel
leidenschaftlichen Stolzes besteigt?

wahrhaftig, wenn man so um sich schaut und sieht, wie schwer der Kamps ist, den die
Phantasie gegen die Alleinherrschaft des Verstandes zu kämpfen hat, da möchte man beinahe klein-
laut werden und nur der feste durch die Entwicklungsgeschichte der Menschheit gewonnene Glaube
an die ewige Macht derselben läßt uns jene Momente erkennen, welche uns die Hoffnung geben,
daß diese Macht sich auch jetzt wieder zu regen beginnt, und daß die Kunst schöneren Zeiten und
besserem verständniß entgegen geht. Sind sie ja doch nie ausgestorben, jene Apostel des Ideals,
die stets den Gedanken der höheren Bestimmung des Menschengeschlechtes hoch gehalten haben,
und die uns leuchtende Vorbilder sind, auszuharren im Kampfe um das schönste und das höchste
Gut unseres Daseins, wir können es um so eher, als trotz des trüben Horizonts, der uns umgibt,
bereits die ersten Strahlen einer neuen Morgenröthe das Dämmerlicht der j?hantasiegebiete zu er-
hellen beginnen.

Oder ist es nicht deutlich herauszufühlen, wie in der jüngsten Zeit allgemach zwar, aber
mit Macht die Phantasie wieder ihre Rechte fordert?
 
Annotationen