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Schreiben des Herrn Professors Dr. Larl von Lutzow
an den Ausschuß des Runstgewerbe-Vereins in München. *
Geehrte Herren!
rst heute, nach Verlauf von zwei Monaten, habe ich das werthe Schreiben vom fch April b. 3-
erhalten, mit welchem der löbl. Vorstand des Kchnstgewerbe-Vereins in München feine Sendung des
p und 2. lheftes der neu eingerichteten Vereins-Zeitschrift zu begleiten die Güte hatte. Die geehrten
Herren wollen es daher freundlichst entschuldigen, wenn mein Dank für diese Sendung und der Ausdruck meiner
Freude über das frisch unternommene Merk so spät an Ihre Adresse gelangen.
Es ist dem löbl. Vorstand bekannt, mit welchem Interesse ich, als früheres Ausschußmitglied des Vereins
zur Ausbildung der Gewerke in München, der Entwicklung des Vereins gefolgt bin, und ich glaube auch abgesehen
davon genügend Zeugniß abgelegt zu haben von dem regen Antheil, den ich an den Wandlungen unseres kunst-
industriellen Lebens und Schaffens nehme. Ich war denn auch heute auf's Lebhafteste bewegt, als ich die
Vereins-Zeitschrift in ihrem neuen Gewände sah, das von dem schlichten, oft wenig ansprechenden Acußern der
früheren Jahrgänge sich ohne Zweifel im Ganzen sehr vortheilhast unterscheidet. Man braucht nur einen Blick
auf die neue glänzende Außenseite zu werfen, um von Neuem zu erkenne., daß die Kräfte, die lange schliefen oder
in Banden lagen, nun entfesfelt sind und in ernstem, energischem Ringen vorwärts streben.
Allerdings wollen die geehrten Herren mir nun aber andererseits auch gestatten, einigen Bedenken offenen
Ausdruck zu verleihen, die mir nach eingehenderer Betrachtung des Inhalts der neuen Zeitschrift aufgestiegen sind.
Ich will nicht sagen, daß für meine Empfindung zwischen dem Inhalt und der Form ein Kontrast bestehe:
durchaus nicht! Im Gegentheil, es erscheint mir Alles aus Einem Guß. Aber ob dieser Guß die richtige Bahn
genommen habe, ob die Richtung, die sich in der neuen Zeitschrift als die dominirende erweist, zum peil führen
werde: das scheinen mir Fragen zu sein, welche der strengsten Prüfung bedürfen. Die Künstler, von denen die
vorliegende Doppel-Nummer Beiträge enthält und welche die Illustrationen des Textes ausgeführt haben, sind
anerkannte Talente voll Phantasie und von geschickter pand. Aber der Styl und die Empfindungsweise, welche
sie zeigen, haben einen Zug zum Ueberschwenglichen, der leicht verderblich werden kann. Sie knüpfen an die
„Werke unserer Väter" an, sie schaffen im Geiste der deutschen Renaissance: aber nicht die Stylperiode, welche die
stsunst jener Zeit in auf steigender Entwickelung zeigt, sondern diejenige, welche sie auf abschüssiger Bahn
uns darstcllt, wird von den Künstlern der Zeitschrift mit Vorliebe kultivirt. Es liegt die Gefahr nahe, daß unsere
modernen Meister dadurch selbst in's Gleiten kommen und sinken werden, statt sich zu erheben. Auch unter dem
nationalen Gesichtspunkte, wenn man diesen geltend machen will, erregt das Vorgehen Bedenken. Denn in jener
Stylperiode, an welche die Künstler sich vorzugsweise anschließen (in der zweiten pälfte des H6. Jahrhunderts und
nn \7.), war die deutsche Kunst völlig entnationalisirt. Ich sollte meinen, daß es besser wäre, zu
einer früheren Zeit zurückzugreifen, zu den Wurzeln der modernen Kchnst, aus welchen unter den pänden eines
Dürer und Polbein die ersten unverwelklichen Blüthen deutscher Renaissance entsprossen sind.
Weiter in diese Erörterungen einzugehen, ist hier nicht der Ort. Ich wollte heute überhaupt nur mein
Interesse an der Sache durch einige Worte, die mehr als leere Höflichkeiten sind, dem löbl. Vorstands kund thun,
und kann nicht anders als mit dem herzlichen Wunsche schließen, daß meine Bedenken sich im Laufe der Dinge
als ungerechtfertigt erweifsn mögen. Es wäre sehr schmerzlich, wenn wir es erleben müßten, daß auch dieser von
dem Verein mit so außerordentlichem Aufwands von Mitteln in's Werk gesetzte Aufschwung das von uns Allen
ersehnte Ziel nicht erreichen würde.
Aiit nochmaligem Dank und freundschaftlichem Gruß
Wien, 25. Juni 1,87c. Ihr aufrichtig ergebener
Professor Dr. Carl von Füßow.
* Auf einstimmigen Beschluß des Redaktions-Ausschusses und mit Einwilligung des Verfassers bringen wir dieses Schreiben
zum Abdruck, welches einen erneuten Ideenaustausch über die Stylfrage veranlassen dürfte. D. Red.
Schreiben des Herrn Professors Dr. Larl von Lutzow
an den Ausschuß des Runstgewerbe-Vereins in München. *
Geehrte Herren!
rst heute, nach Verlauf von zwei Monaten, habe ich das werthe Schreiben vom fch April b. 3-
erhalten, mit welchem der löbl. Vorstand des Kchnstgewerbe-Vereins in München feine Sendung des
p und 2. lheftes der neu eingerichteten Vereins-Zeitschrift zu begleiten die Güte hatte. Die geehrten
Herren wollen es daher freundlichst entschuldigen, wenn mein Dank für diese Sendung und der Ausdruck meiner
Freude über das frisch unternommene Merk so spät an Ihre Adresse gelangen.
Es ist dem löbl. Vorstand bekannt, mit welchem Interesse ich, als früheres Ausschußmitglied des Vereins
zur Ausbildung der Gewerke in München, der Entwicklung des Vereins gefolgt bin, und ich glaube auch abgesehen
davon genügend Zeugniß abgelegt zu haben von dem regen Antheil, den ich an den Wandlungen unseres kunst-
industriellen Lebens und Schaffens nehme. Ich war denn auch heute auf's Lebhafteste bewegt, als ich die
Vereins-Zeitschrift in ihrem neuen Gewände sah, das von dem schlichten, oft wenig ansprechenden Acußern der
früheren Jahrgänge sich ohne Zweifel im Ganzen sehr vortheilhast unterscheidet. Man braucht nur einen Blick
auf die neue glänzende Außenseite zu werfen, um von Neuem zu erkenne., daß die Kräfte, die lange schliefen oder
in Banden lagen, nun entfesfelt sind und in ernstem, energischem Ringen vorwärts streben.
Allerdings wollen die geehrten Herren mir nun aber andererseits auch gestatten, einigen Bedenken offenen
Ausdruck zu verleihen, die mir nach eingehenderer Betrachtung des Inhalts der neuen Zeitschrift aufgestiegen sind.
Ich will nicht sagen, daß für meine Empfindung zwischen dem Inhalt und der Form ein Kontrast bestehe:
durchaus nicht! Im Gegentheil, es erscheint mir Alles aus Einem Guß. Aber ob dieser Guß die richtige Bahn
genommen habe, ob die Richtung, die sich in der neuen Zeitschrift als die dominirende erweist, zum peil führen
werde: das scheinen mir Fragen zu sein, welche der strengsten Prüfung bedürfen. Die Künstler, von denen die
vorliegende Doppel-Nummer Beiträge enthält und welche die Illustrationen des Textes ausgeführt haben, sind
anerkannte Talente voll Phantasie und von geschickter pand. Aber der Styl und die Empfindungsweise, welche
sie zeigen, haben einen Zug zum Ueberschwenglichen, der leicht verderblich werden kann. Sie knüpfen an die
„Werke unserer Väter" an, sie schaffen im Geiste der deutschen Renaissance: aber nicht die Stylperiode, welche die
stsunst jener Zeit in auf steigender Entwickelung zeigt, sondern diejenige, welche sie auf abschüssiger Bahn
uns darstcllt, wird von den Künstlern der Zeitschrift mit Vorliebe kultivirt. Es liegt die Gefahr nahe, daß unsere
modernen Meister dadurch selbst in's Gleiten kommen und sinken werden, statt sich zu erheben. Auch unter dem
nationalen Gesichtspunkte, wenn man diesen geltend machen will, erregt das Vorgehen Bedenken. Denn in jener
Stylperiode, an welche die Künstler sich vorzugsweise anschließen (in der zweiten pälfte des H6. Jahrhunderts und
nn \7.), war die deutsche Kunst völlig entnationalisirt. Ich sollte meinen, daß es besser wäre, zu
einer früheren Zeit zurückzugreifen, zu den Wurzeln der modernen Kchnst, aus welchen unter den pänden eines
Dürer und Polbein die ersten unverwelklichen Blüthen deutscher Renaissance entsprossen sind.
Weiter in diese Erörterungen einzugehen, ist hier nicht der Ort. Ich wollte heute überhaupt nur mein
Interesse an der Sache durch einige Worte, die mehr als leere Höflichkeiten sind, dem löbl. Vorstands kund thun,
und kann nicht anders als mit dem herzlichen Wunsche schließen, daß meine Bedenken sich im Laufe der Dinge
als ungerechtfertigt erweifsn mögen. Es wäre sehr schmerzlich, wenn wir es erleben müßten, daß auch dieser von
dem Verein mit so außerordentlichem Aufwands von Mitteln in's Werk gesetzte Aufschwung das von uns Allen
ersehnte Ziel nicht erreichen würde.
Aiit nochmaligem Dank und freundschaftlichem Gruß
Wien, 25. Juni 1,87c. Ihr aufrichtig ergebener
Professor Dr. Carl von Füßow.
* Auf einstimmigen Beschluß des Redaktions-Ausschusses und mit Einwilligung des Verfassers bringen wir dieses Schreiben
zum Abdruck, welches einen erneuten Ideenaustausch über die Stylfrage veranlassen dürfte. D. Red.