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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Hannover, Emil: Gustave Courbet, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0035

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sieht, nicht nur ein Maler, sondern ein Mensch zu
sein, mit einem Wort lebende Kunst zu schaffen:
das ist mein Ziel."

Wäre nicht das Schild mit dem Wort „Realis-
mus" dagewesen, so hätte man aus diesem Vor-
wort zu dem Kataloge glauben können, dass Cour-
bet eigentlich hauptsächlich gegen den Titel pro-
testieren wollte, den man ihm gegeben hatte.
Wenn es diesen Anschein hat, so liegt der Grund
doch wohl darin, dass es Courbet auf eigene Hand
schwer fiel, sich schriftlich auszudrücken, oder rich-
tiger, dass er, sich selbst überlassen, leicht dazu
kam, zu schreiben, was er selbst meinte, statt was
die Anderen meinten. Seine Stellung war ja wirk-
lich sehr verwickelt. Er musste sich mit dem odi-
ösen Namen Realist nennen, denn als etwas anderes
wollten ihn weder seine Freunde noch seine Feinde
erkennen. Malte er etwas, das als nicht realistisch
genug befunden wurde, so waren seine Feinde
nicht weniger spitz gegen ihn als seine Freunde.
Als er einmal eine Darstellung einer Rehjagd in
einem schneebedeckten Walde gemalt hatte, ver-
höhnte ihn Maxime du Camp in vollem Ernst durch
den Hinweis, dass zur Zeit des Schnees jede Jagd
zufolge dem Gesetz vom 3. Mai 1 844 verboten sei!

Leider sind viele der Hauptwerke von Cour-
bets Ausstellung von der Landstrasse verschwunden.
Unter den vielen nationalen Schätzen, deren die
Dollar- und Kunstsammler auf der anderen Seite
der Atlanten Frankreich beraubt haben, befinden
sich zahlreiche Arbeiten Courbets aus seiner besten
Zeit, welche gerade die um das Jahr 1855 war.
Die Weltausstellung 1889 brachte jedoch mehrere
seiner Bilder aus jener Periode an das Licht; andere

sind endlich im Louvre und in den französischen
Provinz-Museen gelandet, und ein kleiner Teil der
Ausstellung in der famosen Holzbaracke in der
Avenue Montaigne lässt sich so rekonstruieren. Da
war u. a. das herrliche, in seiner körperlichen Fülle
ganz vlämische, doch in seiner malerischen Fülle
mehr spanische Bild „la Fileuse" (Museum in Mont-
pellier), das eine vor ihren Rocken eingeschlafene
Frau darstellt. Da war „l'Homme blesse", der
schliesslich im Louvre Platz gefunden hat, nach-
dem er von 1844—47 alljährlich vom Salon ver-
worfen worden. Der verwundete Mann lehnt seinen
Kopf an einen Baumstamm, gegen den er den
Degen gestellt hat, der ihn im Stiche Hess. Mit
seiner einen Hand hat er den Mantel an Hals und
Brust aufgerissen; er ist ins Herz getroffen; man
kann es an den Blutflecken auf seinem Hemde
sehen. Kennte man Courbet nur aus Schilderungen,
so würde man glauben, dass das Ungeheuer, als
welches er gewöhnlich beschrieben wird, dieses
Motiv gewählt hätte, um sich an solchen Blutflecken
zu freuen, und dass er, um seine Grausamkeit zu
befriedigen, den sterbenden Mann mit einem vom
Leiden verzerrten Gesicht und verrenktem Körper
dargestellt hätte. Aber zu dem Bilde hat Courbet
sich selbst als Modell verwendet, und wie immer
ist aus diesem Modell ein Bild von rein idealer
Schönheit entstanden. Der verwundete Mann lehnt
sich gegen den Baumstamm mit einer wunderbar
schönen Bewegung, weit davon entfernt, sein Ant-
litz zu verzerren, macht das Leiden es schön, und
die Blutflecken ahnt man mehr, als man sie sieht.
Es ist gar keine menschlich mildere, idealisiertere
Vorführung eines so blutigen Themas denkbar.
 
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