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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Lux, Joseph August: Der Geist des Gartens
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0433

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DER GEIST DES GARTENS

VON

JOSEPH AUGUST LUX

ie Gartenkunst ist die augen-
fälligste und glücklichste
Negation der willkürlichen
Natur. Der naturalistische
Garten, der die willkürliche
Natur im kleinen Rahmen
nachahmen will, bleibt stets
eine klägliche Karikatur.
Die Kunst will auch im Garten einen Gegensatz
zur Natur schaffen. Sie verwendet die Pflanzen
nach dem architektonischen Prinzip, das den Aus-
druck der menschlichen Illusion festigt. Sie giebt
Bäumen und Büschen die Gestalt von Kugeln,
Kegeln und Würfeln als Architekturbestandteilen,
bildet aus Pflanzenwuchs gründämmerige Wände
und Nischen, die sie mit dem Lächeln der Faune,
der Kühnheit der Heroen und der Melodie der
Brunnen erfüllt. Aus Blumen bringt sie Farben-
ströme hervor, in bunten Gleichnissen das Blau der
Ferne, das Gelb und Rot des Morgen- und Abend-
himmels in weiten Beeten abzuspiegeln. Sie setzt
das geheimnisvolle Schweigen der Sphinxe als Hüte-
rinnen an die obersten Stufen, die sehnsüchtig auf
und nieder gleiten. In steinumfassten Wasserspiegeln
zieht sie die huschenden, sonndurchglänztenWolken-
bilder in den Gartengrund und zwingt das flüssige
Element in kunstvollen Strahlen gleichsam aus
scherzender Laune emporzuschiessen. Im Gegen-
satz zu dieser spielenden Heiterkeit, gekrönt von
der Geselligkeit des Wohnhauses, legt sie weiterhin
an das untere Ende des Gartens als dunklen Saum
den Ernst der Blutbuchen, wo das Raunen und
Stöhnen des Waldes wohnt und fern am Horizont
aus der abschliessenden Gartenmauer die Einsam-
keit eines Turmes die Wipfel überragt.

Bis hieher reicht der herrliche Triumph der

schönen Gartenkunst, schön in der Selbstherrlich-
keit machtvollen, menschlichen Ermessens.

Das Geheimnis alter Gärten. —■ In den Händen
des Gartenkünstlers ist die Natur der Rohstoff, aus
dem er seine dichterischen Ideen formt. Der Garten
ist für ihn der Ausdruck eines inneren Erlebnisses.
Die frommen Mystiker am Ausgang des Mittel-
alters haben ihn als Schrein behandelt, um das Ge-
heimnis ihrer Gläubigkeit darin einzuschliessen.
Der Rosenhag um Francias Madonna ist ein lieb-
liches Gehäuse. Die Madonna mit den Erdbeeren
hat der rheinische Meister mit einem blühenden
Gehege, wie mit einem Altargitter umgeben; und
Mantegna baut aus Blumen und Früchten eine herr-
liche Kuppel, die ebensogut eine Wunderlaube, als
ein Hochaltar ist, über die Anbetung. Später löst
sich der fromme Gedanke von'den Gärten ab und
ein neues Ideal zieht in das verlassene Heiligtum
ein, das nun seine Grenzen in ungeahntem Masse
erweitert. Die Demut des Mittelalters weicht dem
Herrscherstolz der Renaissance, das fromme Gärt-
lein verwandelt sich in einen prunkhaften Götter-
hain. Neptun mit dem Dreizack zaubert Wasser
aus dem Gestein, fängt es in kunstvoll geleiteten
Kaskaden und marmornen Bassins auf, die ein
ganzes Geschlecht von Tritonen, Wasserrosen, Del-
phinen und Nymphen bevölkert. Jupiter herrscht
im Hain. Die feine Gesellschaft spiegelt sich in
der Allegorie des Olymps. Die Barockkünstler als
virtuose Dekorateure bevölkerten den Gartenbezirk
mit den Standbildern mythologischer Helden und
Musen. Aber der Donnerer trägt die Allonge-
perücke, und entpuppt sich schliesslich als Moliere
Amphitrion, der Garten als Götterhain entfaltet
sich immer deutlicher als unvergleichliche Schau-
bühne, auf der die hohen Herrschaften nach den

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