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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Baur, Emil: Über die gegenwärtige Phase der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0250

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ÜBER DIE GEGENWÄRTIGE PHASE
DER MALEREI

VON

EMIL BAUR

Meinem Freunde Rudolf Treumann

N der zweiten Hälfte des vo-
rigen Jahrhunderts ist, wie
man weiss, ein höchst be-
deutungsvoller Umschwung
in der Malerei eingetreten,
dessen Stätte hauptsächlich
Paris war. Es handelte sich
um die Entdeckung des Frei-
lichts, des Impressionismus und eines verfeinerten
Farbenempfindens, Entdeckungen, die vornehmlich
verknüpft sind mit den Namen: Manet, Monet und
Whistler. Die Malerei hat dadurch eine neue Grund-
lage erhalten und sie befindet sich jetzt in der
glücklichen Lage, alle Meere offen zu finden zur Ge-
winnung neuer Festländer. Das Gewicht der Meister-
werke alter Zeit braucht die heranwachsende Maler-
generation nicht zu drücken; denn es muss alles von
neuem gemalt werden. Entgegen der Musik, welche
sich zur Zeit wohl in der letzten und erschöpftesten
Phase einer reichen und glänzenden Entwickelung
befindet, ist die Malerei der Gegenwart jung. Ihre
Phase vergleicht sich vielleicht dem italienischen
Quatrocento. In solchen Perioden ist der Künstler
nicht Erbe, sondern ein Erwerber und er bedarf zu
seinen Leistungen vermehrter wissenschaftlicher

Begabung, wie sie auch suchenden Künstlern
früherer Zeiten, einem Dürer und Lionardo, eigen
war.

Die wissenschaftliche Grundlage der Hell-
malerei ist von Helmholtz in vortrefflicher Weise
erläutert worden zu einer Zeit, als das Pleinair
eigentlich noch gar nicht entdeckt war. Damit ein
Gemälde den Eindruck des Lichtes, das in der be-
sonnten Natur waltet, in überzeugender Weise
wiedergebe, müssen die Schatten sehr hell und
durchsichtig aufgetragen werden. , Der Grund da-
für ist ein physiologischer. Er liegt in der Un-
gültigkeit des Fechnerschen Gesetzes der Apper-
ception für die extremen Gebiete. Dabei handelt
es sich um folgendes.

Der photometrische Unterschied zwischen Licht
und Schatten in der Sonne ist zwar sehr gross.
Anderseits aber ist die absolute Helligkeit des
Sonnenschattens im Freien ebenfalls sehr gross, sie
ist immer noch viel grösser, als die grösste Hellig-
keit im Zimmer. Man hat also im Freilicht eine
Stufenleiter von Helligkeiten vor sich, deren tiefste
Sprosse noch sehr hoch liegt. Es zeigt sich, dass
in diesem Gebiet der höchsten Helligkeiten die
Unterschiede zwischen ihnen vom menschlichen

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