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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Meier-Graefe, Julius: Böcklin und Holbein
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0054

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finden lassen, und Voll's unbewiesene Behauptung, dass
der Tod aus dem 17. Jahrhundert stammt, würde, selbst
wenn sie wahr wäre, nichts gegen die Schönheit des
Bildes aussagen. Auch Bayersdorfer und Hauser haben,
was Voll nicht zu wissen scheint, die Möglichkeit einer
späteren Hinzumalung des Todes in Betracht gezogen und
sollen sogar diese Hypothese aktenmässig niedergelegt
haben. Wenn Bayersdorfer, der seine Kennerschaft
Holbeins in einem erbitterten Streite bewies und dessen
Gelehrten-Ehrlichkeit keines Compromisses fähig war,
jene Hypothese auf sich beruhen Hess, geschah es ledig-
lich, weil er das Bild, so wie es war, vortrefflich fand.
Wäre die darmstädter Madonna nicht unendlich schöner
als das dresdener Bild, so hätte dem ganzen Streit nicht
die kunsthistorische, wohl aber die ästhetische Basis <je-
fehlt. Nur diese betrachte ich in meinen Schriften. Sie
allein hatte ich im Auge, als ich bei Böcklin von
Holbein sprach. Wenn Voll dagegen etwas einzuwenden
hatte, musste er sich an den Sinn meiner Verwendung
des Schatzmeisterbildes halten und meine Behauptung,
der Tod auf diesem Werke sei besser als bei Böcklin
gemalt und entziehe dadurch dem Motiv die rein gegen-
ständliche Bedeutung, widerlegen. Die Frage, ob der
Tod aus dem 17. Jahrhundert stammt, kommt in dieser
Reihe von Überlegungen nicht in Betracht. Übrigens:
steht der Unterschied der Malereien des 16. und 17.
Jahrhunderts so fest? steht er bei allen Holbeins fest?
Ich möchte Voll raten, sich 'mal das Bild eines noch
früheren deutschen Meisters als Holbein daraufhin an-
zusehen, nämlich den Erasmus auf dem grossen Gruppen-
bilde Grünwalds der münchener Pinakothek. Mich hat
das Kostüm dieses Heiligen, namentlich die untere Partie
immer an einen gewissen Velazquez erinnert, der recht
tief in das 17. Jahrhundert hineinreicht. Voll thut so,
als wären alle Leute, die bisher die Differenz auf dem
Holbein nicht bemerkt haben, Idioten. Denn er ver-
gleicht diese vermeintliche Disharmonie mit derRokoko-
kapelle in einem romanischen Dom und zitiert bien ä
propos die Schönbornkapelle des Würzburger Doms.
Der Herr Doktor ist mit Verlaub recht grob und fordert
mit solchem Geschütz die oben angedeutete Vermutung
heraus, dass ihm gewisse Elementarbegriffe fehlen. Er
leidet, scheint mir, an dem Mangel unserer Tage, nicht
unterscheiden zu können, was Stil in Bauwerk und Kunst-
gewerbe heisst und was dasselbe Wort in der Malerei be-
deutet, und verkennt infolgedessen die Möglichkeiten der
einen und der anderen Kunst. Wenn er wirklich leugnet,
dass in der Malerei, als der dem Persönlichen unmittel-
bar gehorchenden Kunst, starken Individuen der Griff in
verhältnismässig ferne Entwicklungsreihen gelingen kann,
so müssen ihm alle grossen Meister, die das spezifisch
Malerische gefördert haben, verdächtig erscheinen. Denn
in solchen Griffen setzt sich, zum Unterschiede von der,
ganz anderen Entwicklungsgesetzen unterworfenen,
Architektur, das immer sprunghafte, widerspruchsvolle
Wachstum der Malerei fort. Umgekehrt steht dann nichts

im Wege, die moderne Kunst, zu der ja auch Voll einige
Beziehungen unterhält, als unhistorisch auszustreichen,
weil ihre grössten Meister auf die typischen Errungen-
schaften des 17. Jahrhunderts zurückgreifen. Übrigens
bestätigt die unbegreifliche Unterschätzung, die Voll
einem Meister wie Vermeer entgegenbringt, seine be-
schränkte Auffassung spezifisch malerischer Probleme,
von denen wir in dem Bilde Holbeins ein ungemein
vielseitiges Spezimen vor uns haben.

Mit der willkürlichen Berufung auf historische Daten
kommen wir in der Kunstwissenschaft, die sich mit den
Werken beschäftigt, nicht weiter. Denn des Schonda-
gewesenen ist zu viel in der Welt, als dass man nicht ein
geschichtliches Beleg durch ein anderes entkräften könn-
te, sobald man nur darauf bedacht ist, zu streiten, nicht
zu forschen. Die organische Untersuchung erst, die das
Werk und nur das Werk in den Mittelpunkt stellt, kann
die Erfahrungen aus der Geschichte nutzbringend ver-
werten. Voll's Hypothese ist durchaus begreiflich. Er
hat in der Pinakothek soviel von Konservatoren ver-
schönte Bilder vor sich, dass er leicht misstrauisch wird
und wo er eine zweite Hand vermutet, gleich die Hand-
schrift eines weniger gewissenhaften lange verschollenen
Vorgängers im Amte zu entdecken glaubt. Weniger
begreife ich die Art der Verquickung seiner analytischen
Versuche mit dem Fall Böcklin. Er wirft mir amSchluss
seines Aufsatzes vor, den Bryan Tuke nur deshalb
zu bewundern, weil es ein Holbein ist, nachdem er eine
halbe Seite vorher behauptet hat, diese Benennungsfrage
wäre mir sicher egal. Warum in einer wissenschaftlichen
Auseinandersetzung so bissig, Herr Doktor? und woher
haben Sie diese Weisheit? Unter den Schmeichelnamen,
mit denenich—nicht vonlhrenengerenFachgenossen —
in jüngster Zeit bedacht wurde, fehlt der im Autoritäten-
glauben erblindete Schwachkopf. Und woher die Be-
hauptung, ich hätte den Tod- tiefsinnig genannt? Das
sieht fast so aus, als wäre ich der Gemütsmensch in
Heidelberg. Dagegen wehre ich mich kräftig. Und noch
energischer verwahre ich mich gegen die groteske Be-
hauptung, ich hätte aus dem Holbein ein Meisterwerk
ersten Ranges gemacht. Zuviel der Ehre. Es war nicht
'mal Voll's grosser Vorgänger, Bayersdorfer, der nötig
gehabt hätte, das erste Lob dieses Bildes zu singen.

Auch in diesen Folgerungen Voll's schlummern
Dunkelheiten und Widersprüche, und so auch schliess-
lich in seiner persönlichen Ansicht über Böcklin. Er er-
klärt im letzten Absatz, nachdem er den Holbein unter
den Böcklin gestellt hat, er wolle „nicht für Böcklin ein-
treten", findet ihn „akademisch" und begreift, „dass das
Urteil über ihn noch einmal revidiert werden müsste".
Sehr schön oder vielmehr sehr chik! Wenn ich gegen
Böcklin nicht überdachtere Dinge vorzubringen hätte
als Voll, so würde ich begreifen, dass man über so un-
motivierte Einsprache gegen eine respektable Verehrung
die Achseln zuckte.

J. Meier-Graefe.

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