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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Hannover, Emil: Gustave Courbet, [2]
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Säule künstlerischer Wert zugesprochen werden
könne. Courbet erkannte ihr solchen vollkommen
ab, und da sie gleichzeitig ihm, dem Republikaner,
als eine Erinnerung an das Kaisertum zuwider war,
stimmte er in einer grossen Künstler-Versammlung,
14. September 1870, für eine Umstürzung der
Säule, deren Reste er vorschlug in einem Museum
aufzubewahren. Die Säule blieb jedoch vorläufig
stehen, und erst das Dekret der Kommune vom
12. April 1871 brachte sie am 16. Mai zu Fall.
Als das Dekret erlassen wurde, war Courbet noch
nicht Mitglied der Kommune, er wurde erst bei
den Wahlen am 16. April hineingewählt. Unter
den 20000 Menschen, die am 16. Mai auf dem
Vendome-Platz versammelt waren, befand sich auch
Courbet, aber nur als passiver Zuschauer; die Säule
wurde von einigen Entrepreneuren umgestürzt, die
gegen eine Bezahlung von 28000 francs den Van-
dalismus übernommen hatten. Der Grund dafür,
dass Courbet schon einen Tag später als der wahre
Urheber der That genannt wurde, scheint nur in
einem Worte zu liegen. Er hatte, ehe er für die
Umstürzung der Säule votierte, erklärt, wie dies
vor sich gehen solle, und hatte sich dazu des selbst-
gebildeten Wortes „deboulonner" bedient. Dies
Wort war ein Schlagwort geworden, das man ge-
brauchte, so oft die Rede auf die Sache kam, und
da Courbet der Urheber des neuen Wortes war,
wurde er im öffentlichen Bewusstsein auch der Ur-
heber der Unthat. In den ersten Tagen des Juni
wurde er verhaftet. Als die Polizei bei ihm ein-
trat, hatte er die höchst unkleidsame Schwäche, zu
sagen: „Ich bin nicht Courbet, Sie irren sich, ich
bin es nicht." Er leugnete zuerst hartnäckig, die
Schuld an dem Schicksal der Säule zu tragender
zeigte später die neue Schwäche, sich auf seinen
Vorschlag zu berufen, die Reste des Monumentes
in einem Museum aufzubewahren, aber er wurde
nichtsdestoweniger als einer der Hauptleiter der
Verschwörung gegen die Säule zu 6 Monaten Ge-
fängnis, 500 francs Geldstrafe sowie Erstattung der
Prozessunkosten, die sich auf 6850 francs beliefen,
verurteilt. Als er aus dem Gefängnis kam, wurde
er als unwürdig von seinen Kollegen aus dem Salon
ausgeschlossen, und als nachher das Gesetz der
Wiedererrichtung der Vendome-Säule beschlossen
wurde, wurde ein Exekutionsordre erlassen über

alles, was Courbet in Paris oder in seinem Geburts-
ort Omans besass.

Schon als dieses neue Unwetter heraufzog,
flüchtete der Künstler. Er suchte Zuflucht in Tour-
de-Peilz, einem Vorort von Vevey in der Schweiz.
Im Mai 1877 wurde seine Schuld an den Staat für
die Wiederaufrichtung der Vendome-Säule auf
523000 francs veranschlagt und Courbet ver-
urteilt, sie in jährlichen Raten von 10 000 francs
zu bezahlen. Im November desselben Jahres Hess
die Regierung all seine Besitzungen und Bilder auf
einer Auktion verkaufen, die jedoch nur etwas über
12000 francs einbrachte. Indessen lebte der
Künstler ein elendes Leben in seinem Exil. Er
arbeitete noch und fand auch Käufer im fremden
Lande, aber moralisch befand er sich in tiefster
Not. Er ertränkte seine Sorgen in ungeheuren
Mengen Wein und suchte in Nachtcafes seine
Heimatlosigkeit zu vergessen. Dieses Leben zerstörte
hastig seine Gesundheit; eine Leberkrankheit in
Verbindung mit Wassersucht führte seinen Tod
herbei, der am 3 1. Dezember eintrat, einen Monat
nachdem seine Bilder zu Spottpreisen ausverkauft
worden waren.

Die französische Regierung, die diese Bilder
verkaufen Hess und im ganzen Courbet mit über-
triebener Härte für eine Thorheit strafte, die er
jedenfalls nicht allein begangen hatte, musste nach-
her für ihre eigene Thorheit büssen, da es sie kolos-
sale Summen kostete, ihn im Louvre nur anständig
vertreten zu sehen. Dass er ein ausgezeichneter
Maler war: Keiner leugnet es mehr. Aber es ist
noch Schick und Brauch, ihn als Menschen einen
Thoren, ja sogar einfach einen Idioten zu nennen.

Es war weiter nichts wahnsinnig an ihm als
seine Eitelkeit. Er wollte für einen fürchterlichen
Revolutionsmann gelten, und er nahm zu diesem
Zweck zeitig eine Schreckens-Maske vor, die er so
lange trug, bis er sich einbildete, sie wäre seine
eigene richtige Physiognomie.

Unbegreiflich, dass keiner seiner Zeitgenossen
ihm diese Maske vom Gesicht riss und zeigte, was
er in Wirklichkeit war: ein grosser Künstler mit
der Kraft eines Mannes in seiner künstlerischen
Energie, und ein kleiner Mensch mit der Schwach-
heit einer Frau in seinem Verstände und dem Egois-
mus eines Kindes in seinem Herzen.
 
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