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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Zimmermann, Ernst: Chinesische Porzellankunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0121

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ist zugleich die jetzt anerkannt künstlerische wie
technische Blütezeit des chinesischen Porzellans, die-
jenige, an die man zunächst denkt, wenn man von
chinesischem Porzellan spricht. Sie ist auch durch
ein glückliches Zusammentreffen diejenige Zeit, in
die das chinesische Porzellan zuerst in grösseren
Mengen zu uns gelangte, nicht zum wenigsten des-
halb, weil eben diese damalige Blüte des Porzellans
bei uns jene Leidenschaft für dasselbe weckte, die
für das 18. Jahrhundert so charakteristisch ist.

Daneben treten die chinesischen Porzellane der
übrigen Zeiten für die ästhetische Wertschätzung
in Europa fast ganz in den Hintergrund. Porzellan
aus den ersten Jahrhunderten nach der Erfindung
kennt man selbst in China nicht und auch die der
folgenden sind dort selten genug. Sie werden nichts
desto weniger dort besonders hoch geschätzt; doch
ist derartigen Wertschätzungen gegenüber für uns
die grösste Vorsicht geboten, da bei Chinesen wie
Japanern, diesen so stark rückwärts schauenden
Völkern, der Respekt vor dem Alter noch mäch-
tiger ist als der vor der Schönheit, so dass es oft
schwer genug ist, den Grund solcher Wertschätzung
festzustellen. Trotzdem haben diese Porzellane auch
für uns ihre grossen und besonderen Reize, können
aber doch wohl nur von denjenigen den Erzeug-
nissen der eigentlichen Blütezeit vorgezogen werden,
die aus ästhetischer Ermüdung Kraft und Ursprüng-
lichkeit um jeden Preis der Verfeinerung vorziehen.
Daneben giebt es ausgesprochene Verfallszeiten,
Zeiten, in denen die Kunst des Porzellans zu bedenk-
licher Tiefe hinabsinkt, wenn freilich nie in dem
Masse, wie in unserer Zeit, da dies keramische
Produkt, das sich einst so stolz über alle übrigen
keramischen der Welt erhob, jetzt meist zu den
minderwertigsten gehört, die wir überhaupt kennen.
Namentlich durch jenes Exportporzellan, dessen
Scheusslichkeiten heute noch immer dank dem
früheren Ruf des chinesischen Porzellans so grosse
Teile des Publikums begeistern und zu Ausgaben
verleiten, die ganz unnötiger Weise der heimischen
Industrie entzogen werden und ein so trauriges
Zeichen von der künstlerischen Gedankenlosigkeit
und Unselbständigkeit unserer Zeit abgeben.

Was beim chinesischen Porzellan der Blütezeit
zunächst überrascht, betrachtet man zunächst das
damals geschaffene Porzellan als Ganzes, ist die
erstaunliche Fülle der Spielarten. Sie wird von

keiner Keramik der Welt übertroffen. Es ist be-
kannt, dass die europäischen keramischen Fabriken
fast immer mit der Aufstellung einiger weniger
meist noch unter einander verwandten Grund-
typen sich begnügt haben, die dann in grossen
Mengen fabrikmässig hergestellt, das spezifische
leicht erkennbare Fabrikat der betreffenden Fabri-
ken darstellten. Welch buntes Bild, welche Fülle
von technischen Dekorationsprinzipien und Orna-
menten dagegen bei den Produkten jenes exo-
tischen Volkes! Kaum gleicht, für den, der tiefer
in diese Kunst eingedrungen, ein Stück dem
anderen! Die gleichen Mittel, technische, wie
künstlerische haben hier oft zu ganz verschiedenen
künstlerischen Resultaten geführt, das künstlerische
Gefühl des einen Volkes in ganz verschiedener
Weise, ja bis zu vollen Gegensätzen sich geäussert.
Man staunt über die Beweglichkeit des sonst als so
konservativ, als so phlegmatisch verschrieenen Sohns
des Reiches der Mitte. Doch gerade diese Mannig-
faltigkeit ist zum Teil die Folge seiner konservativen
Gesinnung. In der chinesischen Kultur ist alles
Aufsummierung, nicht bloss Weiterentwicklung,
der Chinese im Gegensatz zum hoffnungsvoll nach
vorne blickenden Europäer, ein müder Resignierter,
der, dank seiner seltsamen Religion und Lebens-
philosophie unter dem Druck der wahrhaft fixen
Idee steht, dass alles Gute bereits gewesen, schon
vor Jahrtausenden, und dass es ganz allein für alle
Zukunft gilt, aus diesen besten aller Zeiten zu retten,
was sich irgend noch retten lässt. Dieser Pessimis-
mus giebt dem chinesischen Volke seine erschreck-
liche Kulturlähmung, so weit es den Fortschritt,
seine Kulturerhaltung, so weit es das einmal Ge-
leistete anbetrifft. Das ist dem Porzellan nur zu
Gute gekommen. Dieser Kopf, in jeder Beziehung
zu schwierig, um gleich auf einmal seine feinste
künstlerische wie technische Ausbildung zu finden,
hat sich trotz aller rückwärts gerichteten Ten-
denzen, da sich die Menschennatur in ihrer evo-
lutionistischen Anlage nun doch niemals gänzlich
unterdrücken lässt, in Etappen stetig weiter
entwickelt. Die jedesmaligen Errungenschaften
aber dieser Etappen sind nicht durch jeden neuen
Fortschritt beseitigt worden; sie haben sich neben
einander gepflanzt und sind dann gemeinsam weiter
gepflegt worden. Dadurch ist auch das Porzellan
der Blütezeit eine Aufsummierung geworden, durch
die kein irgend wie wesentliches bisheriges Resul-
tat verloren gegangen ist. Die lange Entwick-
lung aber, die das Porzellan genommen — das

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