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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Pauli, Gustav: Natur und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0379

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anderes als Rohstoff, etwas an sich gleichgültiges,
sinn- und gestaltloses, das jeder Deutung fähig ist.
Er lässt seine Augen auf irgend einer Trivialität
ruhen und schafft aus dem ganz Alltäglichen ewige
Werte. Böcklin sah einmal einen ermüdeten italie-
nischen Kavallerieoffizier auf dunklem Pferde an
einem hellschimmernden Kornfeld vorbeireiten.
Aus dem Eindruck entstand später der prächtige
phantastische Abenteurer in der juwelenhaften
Leuchtkraft seiner Farben. Welche Ueberraschun-
gen würden wir wohl erleben, wenn man uns
sagen könnte, aus welchen Wirklichkeiten die
holdesten Traumbilder der Florentiner Madonnen
eines Botticelli, Fra Filippo oder Raffael erwachsen
sind! Dabei bedarf es der Verwandlungen und
Szenenwechsel keineswegs. Es könnte obenhin
betrachtet im Bilde alles bleiben wie es in der
Natur aussah und doch wäre nichts mehr dasselbe
geblieben, wenn der Meister des Bildes ein Künstler
war. Die Steinklopfer, die Courbet am Wege
arbeiten sah, waren gewiss nicht interessanter als
andere Tagelöhner. Aber die Steinklopfer, die er
malte, sind ein aller Zeitlichkeit entrücktes Denk-
mal, schön und gross, so lange die Farben auf der
Leinwand haften.

Goethe sagt einmal: „Der Künstler soll nicht
so wahr gegen die Natur, er soll wahr gegen die
Kunst sein. In einem Kunstwerk kann fast alle
Natur erloschen sein und es kann dennoch Lob
verdienen." Und ein andermal bemerkt er kurz
und gut: „Die Natur ist eine Gans; es kommt
darauf an, was man aus ihr macht." Solche Worte
eines Weisen und Künstlers, der hoch genug stand,

um nicht nur seine Arbeit sondern auch sein ganzes
grosses Selbst zu überblicken, beleuchten scharf die
schwärmerische und grenzenlose Naturliebe, die
manche Künstler geflissentlich an den Tag legen.
Wir dürfen unser Teil dabei denken, wenn wir
sie reden hören. Man prüfe sie nur daraufhin, ob
sie wirklich die unendliche Vielgestaltigkeit der
Natur, ihre einschmeichelnde Anmut und ihre
wilde Furchtbarkeit, ihren verschwenderischen
Reichtum und ihre trostlose Öde, ihre gedämpfte
Koloristik und ihre laute Farbenpracht, kurz, ob
sie die ganze wahre Natur in ihrer namenlosen
Fülle von Gegensätzen lieben und man wird bald
genug entdecken, wie sich der Bereich ihrer Sym-
pathie auf einen Ausschnitt verengert, der mit ihren
sehr persönlichen Anlagen harmoniert. Sie be-
haupten, die Natur zu lieben und lieben nur sich
selbst. Nicht draussen, nicht auf den Meeren, den
Bergen und Thälern, auch nicht in blühenden
Leibern wohnt die Schönheit der Kunst. Wer sie
dort sucht und nur mit mattem Stimmchen zu
wiederholen weiss, was die Natur in volltönender
Sprache gesagt hat, der ist kein Künstler. Und
doch wollen wir Dürer nicht Unrecht geben, wenn
er in seiner schlichten Art es ausspricht: ... Wahr-
haftig steckt die Kunst in der Natur. Wer sie
heraus kann reissen, der hat sie.

Nur würden wir entgegnen: Lieber Meister, wohl
steckt sie in der Natur, aber in deiner eigenen, in
deinem Herzen. Da heraus strömt sie und adelt
alles, was deine Augen sehen und deine Hände bilden.
Denn, was wäre schliesslich Kunst anderes als
gestaltetes Gefühl? —

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