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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Stengel, Walter: Johann Paesters Theatik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0390

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im Durchspähen aller Erscheinungen der Lichts-
und Beschattungs-Natur, als welche Wert und
Wichtigkeit selbst über die gemeinsten Gegenstände
zu verbreiten, und Malerei zu gewähren, einzig ver-
mögend und mächtig ist.

„Wie so viele Schätze des Schönen, welche mit
freigebigen Händen Natur bereitet, werden nicht
(in dem Wahne eines spezifischen Kunstschönen)
verschmäht, wie so manches Geschmackwürdige,
das die unerschöpfliche Mutter erfand, wird nicht
übergangen, weil es dem Geschmacke der Schulen
oder des herrschenden Sinnes sich nicht einfüget.

„Man vergleiche die gewöhnliche Behandlung
des Baumschlags mit dem allen, was unbefangenen
Blicken unter Laubgängen begegnet.

„Man beobachte nur den Körperstoff des Einzel-
blattes, als eines zarten durchscheinenden Gewebes,
wie es ist, und dann, um zugleich auf Färblichkeit
einige Rücksicht zu nehmen, eines Gewebes, dessen
Körperfarbe bald ins Gelbgrüne, bald ins Grün-
gelbe, bald ins Blaugrüne, Graugrüne und Braun-
grüne wechselt; welches folglich im Ganzen der
Laubschichten, gegen das Licht geordnet, eine
Hauptmasse durchscheinenden Grünes^ gegen eine
vom durchscheinenden Lichte sowohl als Gegen-
lichte gedämpfte dämmernde Schattenmasse, und
nur wenige ganze Belichtung sowie ganze Beschat-
tung erblicken lassen kann.

„Nun betrachte man, wie so mancher unfern
dem Vorgrunde geordnete Baumschlag in einem
sonst wohlverstandenen Landschaftsgemälde einem
holzgeschnitzten, undurchdringlichen Blätterhaufen
gleiche, mit grellem und mattem Gelblichte gehoben,
und mit Trauerdunkel im Gegensatze reichlich ver-
sehen, ohne allen Sehbegriff von durchstrahlendem
Lichte und Schimmerlichte, ivas eine Laubmasse
überhaupt charakterisiert.

„Die dem Lichte entfliessenden Tinten, sind sie
es nicht, die den Wert der ganzen Malerschönheit
ausmachen? oder welche (spezifische Kunst-) Schön-
heit wäre es wohl im Gemälde als solchem. Der
allgemeine SehbegrifFvon Tag und Nacht, von Licht
und Dunkel, was umfasst er nicht in seinen Ver-
hältnissen auf Färblichkeit dem Schönheitssinne:
eine ganze Welt ist's in ihm.

„Was Harmonie betrifft, so lässt sich gewiss Ab-
stechendem nicht denken, als zur Farbe des Lichts
diejenige des Schattens, wie zur Farbe des Schattens
diejenige des Lichts sehsinnlich ist. Und dennoch,
man beobachte, was man wolle, entsteht kein Miss-
klang aus jener Mischung und Verbindung des Ent-

gegengesetzten, welche über alles Sichtbare sich
ergiesst, und allenthalben wahrzunehmen ist, in
allen Übergängen des Lichts zum Schatten, sowie
des Schattens zum Licht und Gegenlichte. Diese
einfachen Natur-Wirkungen aber sind eben das
Wichtigste für malerischen Sehgenuss und sie sind
so wenig irgend einer Verschönerung fähig, dass
sie vielmehr grösstenteils nur nicht hinlänglich von
der Kunst enträtselt werden, um die volle Schön-
heit der Natur licht- und tintengetreu zu versinn-
lichen. — Licht-Erscheinung des Tages ist schön
an sich, und unverkennbar sind jene Einigungs-
Klänge, die sie über die sichtbare ganze Natur
verbreitet, bloss als Licht genommen und in
seinem Wirken nichts anderes als sich selbst be-
deutend.

„Das allgemeine Licht, als sichtbarmachendes,
erstes und erhabenstes Phänomen alles Sehsinnlichen,
formenhellend und farbenhellend nicht nur, son-
dern zugleich farberteilend, als ursprüngliches Farb-
wesen betrachtet, so ist, um die Wahrheit des all-
gemeinen Lichtstrahles zu erreichen, ohne dessen
Wahrheit kein Gemälde der Schönheit sich rühmen
mag, aller Sehesinn auf Natur des Lichtivesens zu
schärfen. Nicht jede Lichtfärbung (in Gemälden),
man vergleiche auf Natur, ist lichtgetreu; ist gar
oft nichts besseres, als eine erhöhte Farbstufe im
Gegensatz einer dunkleren Farbstufe. Nicht jede
lichtähnliche Färbung des Pinsels mag naturgeübtem
Sinne Licht, das Licht nicht Anstrich ist, zu sehen
geben: und in diesem Haupterfordernisse der Farben-
kunst wird hauptsächlich nicht selten gefehlt, eben
darum gefehlt, weil man Natur verabsäumt und
Beispiel und Geschmack sich missleiten lässt, den
Lichtstrahl scheinbar zu erhöhen und die Natur zu
verfälschen. Nicht genug zu empfehlen ist diese
erste und wichtigste Wahrheit des Lichts, in ihrem
Einflüsse auf alles Sehsinnliche, für Malerei.

„Finsternis schwindet im Lufträume, bei Er-
scheinung des Lichts, und gemessene Tinten werden
sichtbar, in gemessenen Farbverhältnissen: es ent-
steht Beschattung aus allgemeiner Nacht erst in und
mit der Lichterteilung. Auch diese Beschattungs-
ivahrheit zu erreichen, ohne welche gleichermassen
kein Gemälde das was schön ist darstellen kann,
bietet allen Sehesinn auf, in die Gesetze einer, auch
in diesem Teile ihres Wirkens unabänderlichen und
unübertreffbaren Natur, sich einzuweihen. Nicht
jede Schattenfärbung des Pinsels, man sehe Natur,
mag Beschattungs-Tinte heissen, und ist gar oft
nichts besseres als Farbstufe und Anstrich, nichts

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