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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Stengel, Walter: Johann Paesters Theatik
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kommt aus den Irrgängen einer konfusen Aesthetik
und strebt der modernen Anschauung zu, deren
Wille ist: Kritik und Klarheit. (Er selbst gebraucht
einmal die Worte „Kritik" und „des Sehesinnes
Durchdringlichkeit" synonym.) So unternimmt er
es, „vom Sehen aus und auf Sehen hin, so in Ur-
sache als in Wirkung, den Wert und Zweck des
Sehschönen zu bestimmen". Das Programm ist eigen-
artig, und neu klingt auch die Terminologie, die
so konsequent durchgeführt wird: diese „dem
Worte Sehen entleiteten Ausdrücke, die übrigens
keineswegs aus Neuerungs - Gelüsten, sondern zu
mehrerer Klarmachung der Kunstsache in An-
wendung kamen und hoffen, mit Nachsicht auf-
genommen zu werden".

Es sind moderne Begriffe. Paester selbst hatte
sie noch nicht als er den „Versuch einer Griechen-
Symmetrie des menschlichen Angesichts" schrieb,
der — auf Goethes Empfehlung — in den „Studien"
derHeidelberger Professoren Daub und Creuzer 1806
abgedruckt wurde. Das ist merkwürdig, um so
mehr als in dieser Abhandlung doch schon einige
Ausführungen der Theatik sich ankündigen. „Mit
fröhlichen Gesängen," heisst es am Schlüsse, „preisen
die Bewohner ländlicher Hütten die Schönheit eines
Sommertags, den Zauber der einigenden, alles um-
fliessenden Strahlen, indes die Kunst des schönen Lichtes
Prisma sich zergliedert, sein mannigfaltiges Tonspiel
selbst in Beschattungen erspäht (und nicht anders im
Bilde der harmonischen Natur gefällt, der Natur,
welche ihre Strahlen als Richtmass aller Färbungs-
und Haltungsschönheit in die fernsten Zonen ver-
sendet und Tiziane sich jezuweilen unter ihren
Freunden erweckt)". Wenn man dem im übrigen
sehr langweiligen Aufsatz, der durch Revision ge-
wisser Massverhältnisse „das dunkle Vorgefühl von
Harmonie zum klaren Begriffe zu erheben" suchte,
noch etwas nachrühmen darf, so wäre es das Be-
mühen um exakte Beobachtung. Das gleiche Streben
eines wesentlich wissenschaftlichen Willens — des-
selben der die scharfe und harte Physiognomie des
19. Jahrhunderts ausgewirkt hat — ist es ja, was
dann in der Theatik nach neuen, objektiven Werten
drängt, die der Natur abzuringen sind.

Dass das Sehen eine Kunst sei und dass der
Lehrling in solcher wie in jeder anderen Kunst eine
gewisse Reihe von Uebungen zu durchlaufen habe:
an diesen Grundsatz der Pestalozzischen Elementar-
pädagogik Hesse sich wohl denken bei den wenig
jüngeren Ideen zur Uebung des Blickes in der
bildenden oder Sehe-Kunst. Was Pestalozzi sagte,

war allerdings an sich nichts Neues. Man hatte
das natürlich immer gewusst. Bei Mengs, von dem
Paester direkt herkommt, steht es auch. Aber man
hatte es nie so betont.

Als Herbart (1804) über den Wert des An-
schauungsunterrichts sich verbreitete, erklärte er
ausdrücklich die höheren künstlerischen Fragen
ausser Acht lassen zu müssen. Diese greift Paester
auf. Die Theatik bildet also in gewissem Sinne
die notwendige Ergänzung des berühmten „ABC
der Anschauung" und man darf Paesters Ideen wohl
in eine Reihe mit jenem Gedanken Pestalozzis
bringen, der wie Konrad Lange auseinandergesetzt
hat von den späteren Pädagogen so gründlich miss-
verstanden wurde.

*

Es giebt in der älteren Kunstliteratur wohl
andere Schriften über das Thema, das Paester be-
handelt. Doch diese halten nicht, was sie ver-
sprechen. Die Titel sind interessant und der Inhalt
enttäuscht. „An essay on the education of the eye"
(1837), von dem Maler John Burnet, enthält
wenigstens ein Stück der alten praktischen Aesthetik
der Engländer. Aber mit welchem Recht sprach
eigentlich Herman Riegel „über Art und Kunst,
Kunstwerke zu sehen", wenn er nur von platonischen
Verhältnissen, die der Mensch mit Kunstwerken
haben kann, und gar nicht von der sinnlichen Liebe
zur Kunst, vom Sehen zu reden wusste. Aehnlich
naiv verfasste schon im 1 8. Jahrhundert der Kunst-
historiker Francesco Milizia eine Abhandlung „dell'
arte di vedere nelle belle arti", ohne sich viel um
das „vedere" zu kümmern.

Wer war Johann Paester: ein gelehrter Dilettant,
oder ein dilettantischer Gelehrter? — Sein Buch ist
wohl das Ergebnis eines stillen Lebens. Man hat
jedenfalls nicht den Eindruck, dass ein anspruchs-
voller junger Mensch dahinter steht. „Den Freunden
des Schoenen", sagt er eingangs, „widme ich diese
Blaetter, welche enthalten, was ich in Natur und
Kunst als schoen und gefallenswerth zu sehen ver-
mogte, und welche sich jedem bessern Sehen unter-
ordnen." — Dass er mehr geschrieben hat, ist kaum
anzunehmen. Die Gelehrtenlexika führen seinen
Namen nicht, und unter den Künstlern fehlt er auch.
Das Vorwort ist in Mannheim unterzeichnet. Viel-
leicht ermittelt die Lokalforschung Näheres.

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