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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Aus der elften Ausstellung der Berliner Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0394

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das in den beiden letzteren Fällen Liebermann be-
schwingte und ihn im ersteren Fall ruhig und, sagen
wir, unbeschwingt, der Natur zusehen Hess.

Nun bleibt ja noch die Frage, ob notwendig
es der Geist sein musste, der aus den Sujets auf den
Maler einsprach. Es kann ja auch die Form gewesen
sein. Wir können unser Urteil dahin formulieren,
dass Bergers und Lichnowskys Bildnisse deshalb so
ausgezeichnete Leistungen von Liebermann werden
konnten, weil in den Köpfen dieser beiden Männer
der Geist so merkwürdige — adäquate — den
Maler zum Frohlocken veranlassende Formen vor-
gefunden und durchdrungen hatte. Beide Typen
hat er mit erstaunlichem Griff, wesentlich skizzen-
haft, paradoxal, in der Art eines „Gelegenheits-
gedichtescc in der Goetheschen Bedeutung des Worts
— so gestaltet, dass man sie nicht wieder vergisst.

Bei beiden Bildnissen muss man auch die
Hände betrachten. Jedesmal so ausgezeichnet ge-
lungen — wenn auch nur skizziert — dass man
frappiert ist. Bei den Händen von Berger denkt
man an vom Wasser ausgewaschene Felsen oder an
mächtig schlagende Fischschwänze — man denkt
bei ihm an ein üppiges Meerwesen. Die Hände des
Fürsten Lichnowsky mit seiner erdenen Gesichts-
farbe entzücken durch das Rosige ihrer Farbe und
die Schönheit ihrer Form.

Berger sieht wie ein Elementarwesen aus, jovial,
cynisch, von Frans Halsischem Geschlecht — man
glaubt ihn (mit fettiger etwas kratzender Stimme)
sprechen zu hören, amüsiert sich über den starken
Leib (die, nebenbei bemerkt, wundervoll gemalten
Kleidungsstücke, die weisse Weste und die lose
blaue Jacke); Lichnowsky hat dagegen eine adlige
Erscheinung und wir sehen in ihm einen Typ, bei
dem die Erinnerung an solche Aristokraten empor-
steigt, wie man sie sich in der alten italienischen
Politik denkt; — dazu lächelnd, fein, ein Salon-
mensch, — von bezwingender Hässlichkeit. Berger
derb, Lichnowsky fein, Dr. Strebel bürgerlich.

Man freut sich auch so sehr über den Stil in
dem Bergerschen Porträt — den unbewussten Stil
natürlich. Ist das noch Realismus? Das ist schon
Monumentalität, wie hier die Malerei der Beine aus
dem Ungefähr des Untergrundes aufflutet. Ebenso
ist der Stuhl einfach und ausserordentlich, auf dem
er sitzt. Andere Porträtmaler stellen viele Dinge bei
ihren Bildnissen dar und löschen sie aus — Lieber-
mann giebt Weniges und setzt es ins hellste Licht.

Eine andere Betrachtung wird sich an das vierte
Bild Liebermanns in der Secession heften.

Die Scene in der sixtinischen Kapelle ist dem
Künstler nicht so vollständig gelungen wie seine
Porträts. Das absolut Vollendete fehlt dieser Dar-
stellung. Sie weist eine Figur auf, bei der die Ma-
terie nicht durchdrungen wurde, den Papst; —
und sie hat einige Figuren vorne, welche, anstatt
den Papst anzusehen — wie sie gedacht sind —, an
ihm vorbeisehn (einige Männer). Aber dieser zweite
Fehler gestaltet den Eindruck nur noch mehr so,
dass man sich sagt: der Maler arbeitete konvulsi-
visch, hingerissen, derart, dass er in seiner Versenkt-
heit das Unrichtige nicht wahrnahm; der Genuss
an der Emotion, mit der der Künstler diese bewegten
Figuren hingesetzt hat, verringert sich durch die
perspektivische Bagatelle nicht im geringsten.

(Ausserdem bleibt es mir eine offene Frage, ob
diese emotionierten Männer nicht vielleicht nur
deshalb in eine falsche Richtung blicken, weil sie
den Papst aus dem Gewimmel heraus selber nicht
sehen können.)

Diese Emotion durchbebt das Bild und ist in
der schwarzen Gruppe zusammengeschlossen, die
den Vordergrund einnimmt. Eine Idee durchdringt
sie: der Enthusiasmus für den Papst. In welcher
Weise hier der Norddeutsche den Geist hatte, die
Hingerissenheit darstellen zu können und bis zu
welchem Grade er sie darstellen konnte, ist inter-
essant zu erwägen. Der Menzelkundige geht auf
die Parallele zu dem Prozessionsbilde von Gastein
ein und findet, dass Liebermann etwas über Menzel
Hinausgehendes geleistet hat — ganz abgesehen
davon, dass hier das Sujet mehrhinreisst: bei Menzel
nur eine Dorfprozession, hier eine Huldigung vor
dem Papste. Man erwägt, dass Liebermann mit
Kompositionsgefühl an das allerdings grosse Sujet
herangetreten ist, und hält es nicht für gegeben,
dass sich Menzel, auch bei einem Thema wie dem
Papst, zu solcher rhythmischen Gruppierung er-
hoben hätte.

Es ist ein Bild, das in der Intention stecken
bleibt; bei dem aber die Intention so weit gediehen
ist, dass wir uns doch wundern.

Es ist ein staunenswerter Einklang in der
Gruppe in Schwarz erreicht, blonde Mädchenköpfe
sind in sie verschmolzen, beugen sich zurück und
heben die Arme hoch, und am Ende der Gruppe,
links, sehen wir magre Männer, die alle in der
gleichen Andacht vorwärts gedrängt werden, in
ganz parallelen Linien ihre Beine bewegen. Etwas
Ergreifendes ist in diesem Eindruck; der Künstler
hat hier offenbar instinktiv gestaltet, und die

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