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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Scheffler, Karl: Feuerbach, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0457

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FEUERBACH

VON

KARL SCHEFFLER

in verkanntes und misshandel-
tes Künstlertum gehört zu
den charakteristischen Erschei-
nungen des modernen Zeit-
alters. Rembrandts Unglück
leitet diese Epoche ein und
tragische Schicksale zahlloser
Künstler begleiten sie bis in die Gegenwart. Ein
Widerstreit zwischen dem Willen der Künstlerindi-
vidualität und dem der Allgemeinheit, der heute so
natürlich scheint, dass viele ihn für eines der
wichtigsten Merkmale der Begabung zu halten ge-
neigt sind, ist in den klassischen Epochen der Kunst
nicht vorhanden gewesen. Was der Künstler der
Antike, der Gotik, der Renaissance wollte, das
wollte im Instinkt auch die Gesamtheit; die
höchsten Ziele der Persönlichkeit lagen immer noch
innerhalb der allgemeinen Kulturtendenzen. Der
Künstler empfing von seiner Zeit, von seinem Volk
gehaltvolle Stoffe, Formkonventionen und Tech-
niken, wertvolle Aufträge und andere Voraus-

setzungen der ästhetischen Thätigkeit; er vermochte
durch dieses Zusammenarbeiten' mit dem Zeitgeist
die subjektive Gefühlskraft aufs äusserste auszu-
nutzen. Im Gegensatz zum Künstler dieser glück-
lichen Zeitalter, den eine Kulturidee leitete,
beschränkte, bereicherte und von allem Ver-
wirrenden befreite, versucht der hochgestimmte
Bildner der Gegenwart, dem eine solche Idee von
organisierender Kraft in den Wirren des Unter-
ganges und Überganges nicht erkennbar ist, das
Fehlende und schmerzlichVermisste selbst zu schaffen.
Damit wird aber eine Arbeit unternommen, die
einerseits weit über die Kräfte des Einzelnen geht
und darum immer mehr oder weniger problematisch
bleiben muss und die andererseits den Künstler
seiner Umgebung entfremdet. Denn es kann nicht
ausbleiben, eben weil der Einzelne solcher um-
fassenden Aufgabe nicht gewachsen ist, dass sub-
jektiv beschränkte Meinungen als Wahrheit, halbe
Erkenntnisse irrtümlich als Gesetz für die All-
gemeinheit aufgestellt werden; und daneben wird

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