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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Kolloff, Eduard: Rembrandts Kolorit und Farbentechnik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0476

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Pinsel hervorgegangen, nicht den Ausdruck seines
Charakters, seiner Physiognomie sozusagen, an sich
trüge. Was man an Rembrandts Werken liebt, ist
Rembrandt in eigener Person. Sein Stil oder, wenn
man lieber will, seine Manier ist, so scheint es,
bloss der Dolmetscher und Spiegel seiner Seele.
Diese naive, wohlgemeinte und ehrbare Manier
spiegelt die Herzensgüte des Mannes und die Fülle
der poetischen Anschauungen zurück, die Rem-
brandt in seinem eigenen Gemüte trug. Hätte er
seine Meisterstücke malen und ihnen so viel Ge-
mütliches, so viel Ergreifendes geben können, ohne
selbst die Stimmungen und Empfindungen mit-
zufühlen, die er einst hervorrufen sollte?

Und wenn das Argument, welches ich hier
gebrauche, seltsam erscheint, ist es nicht aus der
Betrachtung Rembrandts selbst hergenommen?
Was sind seine Werke anders als sein allerbestes,
ureigenes Selbst?

Uebrigens, wenn die eigentümliche Betonung
und Stimmung, die Rembrandt sogar über Still-
leben und leblose Gegenstände verbreitete, ein bloss
materielles Verfahren, ein angelerntes Kunststück
ist, warum unterscheidet er sich von allen seinen
Schülern, die in so hohem Grade von seinem Unter-
richt Nutzen gezogen und teilweise seine besondere
Gunst genossen, hauptsächlich auch dadurch, dass
er seinen Figuren Seele und Ausdruck zu geben
weiss? Warum hat er vor vielen der grössten

Meister aller Schulen den Vorzug, dass seine Bilder
bei allem Inkorrekten, Anstössigen und Ungefälligen
an Form und Stil, doch so tief bewegen? Weil er
eines Teils ein Malergenie besass, ich meine die
Ursprünglichkeit des Talents, die mit vielen Fehlern
verbunden sein kann, aber durch keine angelernte
Eigenschaft zu ersetzen ist; — und weil er andern
Teils diese lebendige und persönliche Originalität,
welche die strengen Kunstkritiker wunderliche
Laune, unausstehliche Keckheit, trotzige Dema-
gogenstimmung u. s. w. schelten, unversehrt be-
wahrte und unveränderlich festhielt an der freien,
stolzen und naiven Selbständigkeit, die für den
Geist das ist, was für materielle Dinge das Salz,
und welche ihn allein frisch, kräftig und lebendig
erhält. Unbekümmert um akademische Schul-
regeln und Satzungen, versenkte er sich in die un-
betretenen Regionen des freien Naturwirkens und
brachte von seinen Ausflügen das Geheimnis einer
Malerei mit, die zu ihren Farben weniger Ocker
und Asphalt als Herz und Seele verwendet. Seine
Kunst ist keine Erdichtung phantastischer Traum-
gebilde, keine Hervorzauberung einer übernatür-
lichen Welt, auch keine sklavische Nachahmung
und blosse Natur, sondern eine freie Schöpfung,
eine andere Natur und in ihren Erscheinungen
ebenso wunderbar wie die Natur selbst, die sie
nachahmt und in zauberischen Momenten erfasst
wiedergiebt.

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