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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Singer, Hans Wolfgang: Die dritte deutsche Kunstgewerbeausstellung in Dresden
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0487

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Künstler. Bislang war er vom Ausführenden fast
ohne Ausnahme abhängig. Durch die Stellung, die
ihm jetzt geschaffen worden ist, wird das Ver-
hältnis wohl umgeändert sein und er wird dem
Ausführenden gegenüber die Selbständigkeit er-
reichen, die der bildende Künstler schon längst
gegenüber dem Besteller hat. Für den Fernstehenden
mag es wohl unwichtig erscheinen, ob es heisst
„Zimmereinrichtung der Möbelfirma X, nach
Zeichnung des Herrn Y", oder „Zimmereinrichtung
von Herrn Y, ausgeführt durch die Möbelfirma X".
Aber wenn er erfährt, in wieviel Fällen die Firma,
so lang sie an erster Stelle kam, den Namen des
geistigen Urhebers überhaupt verschwieg und ver-
schweigen durfte, so wird er bald erraten, in welch
eingeengter Lage der Kunstgewerbler sich befand.
Um dies zu ändern, hat man einen nicht leichten
Kampf mit einer Macht, mit einem Vorurteil auf-
nehmen müssen, aber wie ich glaube, auch sieg-
reich durchgeführt.

Das neue deutsche Kunstgewerbe arbeitet jetzt
schon längere Zeit: es hat sich in Darmstadt und
München bemerkbar gemacht, trat in Turin recht
fühlbar, in St. Louis sogar stark auf. Heuer sollte
nun die grosse Frage, die alle interessiert, „Haben
wir einen neuen Stil gefunden?" augenscheinlich
beantwortet werden.

In einem gewissen Sinne lägen die Vor-
bedingungen zur Gewinnung eines neuen Stils recht
günstig, denn zu seiner Durchbildung trägt die Er-
leichterung des gegenseitigen Verkehrs das meiste
bei. Denken wir an unsre historischen Stile, so
sehen wir, dass sie sämtlich von einem Mittelpunkt
ausgehend sich allmählich über die Kulturwelt aus-
breiteten. Das ist zu keiner Zeit leichter möglich
gewesen als heute; daranläge es also nicht. Aber
wir haben keinen neuen Stil, wir haben nur neue
Einfälle. Auf allen unseren Architekten und Kunst-
gewerblern lastet es scheinbar wie eine Alp, dass
die Augen der Welt auf sie erwartungsvoll gerichtet
sind. Wir sehen aber nicht, dass sie geistige Werte,
die in ihnen verborgen stecken, inThaten umsetzen:
wir sehen nur, dass sie nach solchen Werten suchen.
Es steht kein kategorisches „Ich muss" hinter ihrem
Arbeiten, sondern ein ungestümes, hastiges „Ich
will". Sie wissen nur eins, dass man nicht kopieren,
nichr länger in den alten Stilarten schaffen darf;
ihr ganzes Dichten und Trachten besteht nur darin,
das Alte zu vermeiden, anders als die Vergangen-
heit zu denken. So aber wird wohl nie ein Stil
entstehen, denn zu oberst auf der jetzigen Strömung

steht das Prinzip der Individualisierung, die Rhap-
sodie, während gerade dies im Typ, in der Rasse
untergehen muss, ehe ein Stil getragen werden
kann. Man denke doch an die unsägliche Einfach-
heit der Grundsätze, die die Architektur mit dem
Eintreten der Gotik oder die die Formensprache
überhaupt mit dem Eintreten des Rokoko um-
wälzte. Ein Mensch, jedenfalls eine Hütte konnte
sie erfinden und feststellen. Mit diesem Pfund hat
aber die ganze christliche Welt gewuchert, und
Jahrhunderte hindurch haben grosse Baumeister sich
damit begnügt, denselben Gedanken immer wieder
zu durcharbeiten, ein jeder ihn kaum merklich fort-
bildend. Heute beugt sich keiner vor dem anderen,
jeder will nur seinen Einfall, seine Schrulle —
Gedanken kann man kaum sagen — verwirklicht
sehen. „Neu" ist auch hier die verhängnisvolle
Lösung, und bis das Schaffen nicht auf eine breitere
Grundlage gesetzt wird, wird auch kein Stil wieder
geboren.

Bei alledem dokumentiert sich — eben durch
unsre Ausstellung — ein riesiger Aufschwung; das
ist unverkennbar. Er lässtsich aber nicht auf einen
oder auch nur hundert Männer zurückführen: er
entstand nicht durch geistige oder künstlerisch-ge-
staltende Thätigkeit überhaupt. Er ist die Folge
von — Geld. Auch wir sind endlich ein reiches
Volk geworden. Vorigen Monat wurde für einen
Dürerstich, die „Melencolia", 14000 Mark — bei
weitem der höchst notierte Preis — bezahlt und
das Blatt blieb in Deutschland. Ein unbeschreiblich
schöner Delfter van der Meer und ein Botticelli
gelangten kürzlich zu „amerikanischen" Preisen
in berliner Privatbesitz. Der Zuwachs an Reichtum
ist es, der schon lange unser älteres Kunstgewerbe
verbesserte, indem es die teure, vorzügliche Hand-
arbeit bezahlte. Damit war der Unkultur in der
Kleinkunst, in dem Schmuck, sowieso gesteuert,
denn alle die widersinnigen Torheiten waren ja
im wesentlichen darauf zurückzuführen, dass man
billigund schlecht mit Maschinen ausführen wollte,
was nur gut und teuer mit der Hand zu machen
ist. Und jetzt? — jetzt giebt es Menschen, die
1 z 000 Mark für ein Diele, 1 8 000 für ein einziges
Spiel- und Jagdzimmer, 75000 Mark für einen
Empfangsraum in ihrem Hause ausgeben können.
Deren Locken folgt der Lieferant mit seinem echten
Material, und diesem wiederum der Kunstgewerbler
mit den verständigen Gedanken, die ihm das
Material eingiebt. Der grosse Initiator, der den
ganzen Baum sich mit Blüten bedecken Hess, ist

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