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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0536

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heit dieser bewundernswürdigen alten Meister eigentlich
bestand, denn ich merkte, dass ihre so einfachen Vor-
würfe durch ihre Behandlung reich und vielsagend wur-
den. Sie waren Genien, ohne es selbst zu wissen, und
die sie umgebende Welt wusste es damals auch nicht."

Nachdem Israels es zuerst mit einem kleinen Ge-
mälde von Gerard Dou und dann mit einem Kopf von
van der Helst versucht hatte, ohne davon befriedigt zu
sein, wandte er sich zu einem der Köpfe der Staal-
meesters. ,,Der Mann in der Ecke links mit seinem spitz
zulaufenden Hut und seinen grauen Haaren hatte es
mir angethan. Ich fühlte, dass hier etwas sei, dessen
Schönheit ich wiedergeben konnte, wiewohl ich alsbald
sah, dass die Bearbeitung eine ganz andere sein musste,
als bei meinen bisherigen Versuchen; aber das Verlangen,
dieses Neue und Breite zu erreichen, zog mich derart
an, dass ich beschloss, es zu wagen. Wie diese Kopie
geworden ist, weiss ich nicht mehr, wohl aber weiss ich,
dass sie jahrelang in meinem kleinen Malerkämmerlein
gehangen hat. So trachtete ich, das Kolorit und die Be-
handlung des grossen Künstlers zu erfassen, bis endlich
die Schönheiten der Nachtwache und der Staalmeesters
mich so beherrschten, dass mich überhaupt nichts mehr
anzog, was nicht die Hand des grossen Rembrandt ge-
schaffen hatte. In seinen Werken sah ich etwas, was ich
bei den anderen nicht fühlte: es war seine Freiheit und
Ungezwungenheit, die ich bewunderte und die auf der
Zeichenakademie und im Atelier eines Lehrmeisters
verpönt waren.

Hatte ich nun eine Zeitlang Rembrandts Gemälde
von allen Seiten betrachtet, dann ging ich in den unteren
Stock des Treppenhauses, wo sich die sogenanntePrenten-
kamer befand. Hier waren Rembrandts Radierungen in
ausgezeichnetem Zustande zu sehen. Oft und immer
sehr lange sass ich da, um mich in diese 240 Kunstwerke
zu vertiefen, häufig mahnte mich der Konservator zur
Vorsicht, wenn ich die Blätter allzu eifrig umschlug, um
sie mit einander zu vergleichen. Ich war erstaunt, dass
der Künstler, der die ruhmreiche Nachtwache und die
breiten Staalmeesters mit Farben geschaffen hatte, hier
als ein ausgezeichneter Stecher erschien, der nicht nur
mit der Kraft und der Leichtigkeit eines echten Führers
des Pinsels ausgestattet war, sondern alles beherrschte,
was die Nadel auf dem harten, glänzenden Kupfer her vor-
zubringen im Stande war. Es war aber nicht diese ausser-
gewöhnliche Kunstfertigkeit, welche mich bei diesen
Radierungen so fesselte, noch viel mehr wurde ich durch
die erfinderische Vielseitigkeit der Vorstellungen, durch
die wundervollen Beleuchtungen und die naiven kind-
lichen Manieren, die er seinen Figuren zu geben wusste,
getroffen. Nicht nur das Gemüt sprach laut in der Vor-
stellung, sondern es durchdrang alles durch die subtile
Anwendung der Nadel. Die biblischen Scenen werden
in alt-amsterdamscher Weise vorgestellt, aber welche
Kunstfertigkeit bei der Verteilung von Licht und
Schatten und welche Phantasie in der Komposition! So

wunderbar originell, so vollendet im Ausdruck war hier
alles, dass andere Bilder dagegen, mochten sie noch so
kunstreich bearbeitet sein, die Schule und die Akademie
verrieten. Hier waren herrliche Porträts, selten schöne
Köpfe, oft von ihm selbst oder seinen Freunden. Aber
wenn man das kleine Bild seiner Mutter gesehen hat,
muss man die Mappe einen Augenblick zuschlagen . . .
und seine Augen wischen. Etwas Schöneres, was mit
solchem Gefühl gestochen ist, besteht nicht: die mütter-
liche Milde, das Wohlwollen und die Innigkeit des alten
Frauchens blickt uns aus jedem Strich, aus jedem Häk-
chen der Nadel entgegen, jede Linie hat etwas zu be-
deuten, kein Pünktchen hätte weggelassen werden
können. Und dieses lebensvolle Porträt hat Rembrandt
in dem jugendlichen Alter von 24 Jahren geschaffen!
Ich schlage die Mappe wieder auf und sehe die reich
bearbeiteten Bettler. Das sind Typen, nach denen er
damals nur zu greifen hatte und die er so gerne und so
oft darstellte; man sollte sie eigentlich gar nicht arm
nennen, so warm, so farbig hat sie der Meister aus-
gestattet. Dann kamen die wirkungsvollen Landschaften
an die Reihe, jene merkwürdigen Nacktstudien, mit
einem Wort ein Kosmos. Wenn ich dann, nachdem ich
eine Mappe durchgeblättert hatte, wieder in die Stadt
zurückkehrte, war es mir, als ob ich allerlei Gestalten
begegnete, welche den seinigen glichen. Vom Treppen-
haus nach der Hoogstraat, dann durch die Sint Anthonie-
breestraat und endlich in der Joodenbreestraat, wo ich
damals einige Schritte von dem Hause entfernt, in dem
Rembrandt so viele Jahre geschaffen hat, wohnte, überall
da sah ich wieder die malerische Menge, dieses geräusch-
volle Leben, diese warmen jüdischen Gesichter mit
ihren eisgrauen Barten, die Frauen mit ihren fuchsrothen
Haaren, die Karren voll von Fischen und Früchten und
allerlei Waren. — Alles war Rembrandt!

Es giebt aber noch eine dritte Äusserung von Rem-
brandts Talent: das sind seine Zeichnungen. Für einen
jungen Maler, der nach Mitteln sucht, um seine Ge-
danken auszusprechen, waren diese Zeichnungen ebenso
rätselhaft wie ermutigend. Da sie nicht so deutlich
waren wie seine Radierungen, dauerte es einige Zeit,
ehe ich mich mit ihnen befreunden konnte, aber als ich
begriffen hatte — was ich heute noch glaube — dass der
Meister diese Zeichnungen nicht gemacht hatte, um sie
mit zierlichen Linien zu umgeben und sie dann dem
Publikum vorzuführen, da fühlte ich ihre wahre Trag-
weite. Es waren meistens Gefühlsäusserungen, um sei-
nem phantasiereichen Gemüt zu Hülfe zu kommen.
Ohne jedes Nachdenken auf das Papier geworfen, aber
mit einer Hand, die bei jedem Zucken und bei jeder
Erregung Meisterstücke schuf. Oberflächlich betrachtet,
werden diese Zeichnungen durch allerlei Tintenflecke
und harte dicke Striche, die wild und wunderlich durch-
einander gingen, entstellt, betrachtet man sie aber gut,
dann scheint alles wohl berechnet und gefühlt.

So sah ich also diesen Rembrandt als den Mann, der

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