Vegleitwort oon professor Larl Neumann.
VII
Begleitwort von Professor Carl Neumann.
Is Nottmann in peidelberg 1797-1822 auf-
wuchs, war die heidelberger Luft beson-
ders würzig und belebend. Oie junge Roman-
tik lietz ihre INunderhornklänge klarsanft ertö-
nen, und ihr Stimmungszauber lockte, so datz
im Jahr 1810 die „drei Vrüder Boisseree",
Sulpiz und Melchior nebst ihrem Zreund Bert-
ram, ihre kostbare Nölnische Zammlung alt-
deutscher und altniederländischer Gemälde
nach heidelberg verlegten, wo sie angesichts
der Schlotzruine bis 1818 geblieben ist. hatten
Goethe und seine Nunstfreunde IVeimar zum
hauptquartier des Nlassizismus gemacht, so
bildeten die Boisserees ein Gegenhauptquar-
tier der heidelberger Nunstfreunde, als hort
deutscher und religiöser Sinnesweise entgegen
dem lveimarer heidentum und Griechentum.
Me zwei geistige Groszmächte traten sich in
diesen Iahren das künstlerische Weimar und
daskünstlerischeheidelberg gegenüber: Goethe
auf sich selber beruhend, Sulpiz Boisseree aber bemüht, Goethe, die erste Nunst-
autorität Oeutschlands, zum Entgegenkommen und zur verständigung zu bewe-
gen. Jm Mai 1811 kam Sulpiz nach kveimar mit Mappen und Mappen voller 5luf-
nahmen und Nisse gotischer Nathedralen, um des Nleisters „vorurteile" zu brechen.
Im Schloß zu lveimar durfte er sie ausstellen, und es war die Nachwirkung dieser
Eindrücke, wenn für Goethe, derin eben diesen Jahren an „Oichtung und lvahrheit"
arbeitete, die eingeschlagenen Zarben seiner Jugend sichbelebten undihm die ein-
stige Begeisterung für Erwin vonSteinbach durch Boisserees lvärme und wissen-
schaftlichen Ernst erinnerlich und verständlich wurde. Jn diesem Sinn wählte und
erklärte er das Nlotto des zweiten Teils seiner Zelbstbiographie: „lvas man
in der Iugend wünscht, hat man im Nlter die Zülle". (Oie Stellen über Straß-
burg und das Nlünster im neunten Buch, 1812 erschienen.) Und noch nicht
genug damit. Jn den nächsten Zahren geschah das Uußerordentliche,- Goethe
erschien wiederholt — fast möchte man sagen: höchstselber in heidelberg und
kgm, die Zammlung der Boisserees zu studieren,- Bild um Bild ließ er sich auf
eine Staffelei stellen. Oamals ruhte auch sein Uuge auf dem herrlichen Rogier
van der kvegden, dem alten Nölner Nltar von S. Nolumba, der nun in der Nünche-
ner Pinakothek zu sehen ist: damals führte das Bild noch die Bezeichnung hans
van Egck, und es ist der Nachklang dieser Stunden, wenn es Goethe über sich
VII
Begleitwort von Professor Carl Neumann.
Is Nottmann in peidelberg 1797-1822 auf-
wuchs, war die heidelberger Luft beson-
ders würzig und belebend. Oie junge Roman-
tik lietz ihre INunderhornklänge klarsanft ertö-
nen, und ihr Stimmungszauber lockte, so datz
im Jahr 1810 die „drei Vrüder Boisseree",
Sulpiz und Melchior nebst ihrem Zreund Bert-
ram, ihre kostbare Nölnische Zammlung alt-
deutscher und altniederländischer Gemälde
nach heidelberg verlegten, wo sie angesichts
der Schlotzruine bis 1818 geblieben ist. hatten
Goethe und seine Nunstfreunde IVeimar zum
hauptquartier des Nlassizismus gemacht, so
bildeten die Boisserees ein Gegenhauptquar-
tier der heidelberger Nunstfreunde, als hort
deutscher und religiöser Sinnesweise entgegen
dem lveimarer heidentum und Griechentum.
Me zwei geistige Groszmächte traten sich in
diesen Iahren das künstlerische Weimar und
daskünstlerischeheidelberg gegenüber: Goethe
auf sich selber beruhend, Sulpiz Boisseree aber bemüht, Goethe, die erste Nunst-
autorität Oeutschlands, zum Entgegenkommen und zur verständigung zu bewe-
gen. Jm Mai 1811 kam Sulpiz nach kveimar mit Mappen und Mappen voller 5luf-
nahmen und Nisse gotischer Nathedralen, um des Nleisters „vorurteile" zu brechen.
Im Schloß zu lveimar durfte er sie ausstellen, und es war die Nachwirkung dieser
Eindrücke, wenn für Goethe, derin eben diesen Jahren an „Oichtung und lvahrheit"
arbeitete, die eingeschlagenen Zarben seiner Jugend sichbelebten undihm die ein-
stige Begeisterung für Erwin vonSteinbach durch Boisserees lvärme und wissen-
schaftlichen Ernst erinnerlich und verständlich wurde. Jn diesem Sinn wählte und
erklärte er das Nlotto des zweiten Teils seiner Zelbstbiographie: „lvas man
in der Iugend wünscht, hat man im Nlter die Zülle". (Oie Stellen über Straß-
burg und das Nlünster im neunten Buch, 1812 erschienen.) Und noch nicht
genug damit. Jn den nächsten Zahren geschah das Uußerordentliche,- Goethe
erschien wiederholt — fast möchte man sagen: höchstselber in heidelberg und
kgm, die Zammlung der Boisserees zu studieren,- Bild um Bild ließ er sich auf
eine Staffelei stellen. Oamals ruhte auch sein Uuge auf dem herrlichen Rogier
van der kvegden, dem alten Nölner Nltar von S. Nolumba, der nun in der Nünche-
ner Pinakothek zu sehen ist: damals führte das Bild noch die Bezeichnung hans
van Egck, und es ist der Nachklang dieser Stunden, wenn es Goethe über sich