Zchlosser und der Goethekreis.
265
wesenheit von Mütterchen Mllemer war wie ein leichter Zchlüssel, der flugs
aller herzen aufschlotz und sie übersprudeln lietz. „. . . Lei Gelegenheit von
§rau von Mllemers 5lnwesenheit wetteiferten die beiden alten Oamen im
Lrzählen und Kuftischen amüsanter Zzenen und Geschichten. Mrklich aller-
liebst heitere Ztunden waren es, wenn die beiden Kreundinnen zusammen
waren, und die Iuhörer hatten einsn wahren Genuh im Beobachten dieser
beiden so ganz verschiedenen Naturen. Zwei grellere Gegensätze als diese
edlen Krauen kann man selten finden. Bei dem lieben Grohmütterchen war
alles Natur, sie war leichtlebig, voller Grazie und Leweglichkeit. Jhr unver-
wüstlicher humor, ihre neckende, scherzende Nrt kontrastierte oft höchst komisch
mit der gemessenen, ernsthaften lDürde der Zrau Nat Zchlosser, die einer ge-
wissen Zchwerfälligkeit nicht entbehrte. lVenn §rau von Nlillemer in ihrem
groszen mimischen Talent Iemanden der Gesellschaft nachahmte und Zrau Nat
Lchlosser mit ganz erschrockener Nliene zusah, den 5paß nicht gleich verstand,
aber dann, wenn sie endlich des pudels Nern entdeckt, so herzlich anfing zu
lachen, daß ihr schier der Ntem ausging — das waren Zzenen, deren harmlose
heiterkeit noch in der Trinnerung ein Lächeln heraufzaubern! . . ."
von dreien solcher Lesuche auf dem 5tift berichtet lNarianne auch an
Goethe: l828, dann im Jahre darauf, wo sie dort den Oichter Ludwig Tieck
sah, und schließlich l8Zl mit den lNorten: „Nur so viel, daß ich mit professor
Treuzer bei Zchlossers auf dem Ztift Neuburg, wo ich wohnte, viel von Jhnen
sprach, und datz Jhrer herzlich und liebevoll gedacht wurde." Gar merkwürdig
und rührend war aber jener letzte Besuch Nkariannens im Zpätjahr l860. „Es
war an einem herrlichen perbsttag, an dem man den Zonnenschein und blauen
pimmel doppelt schätzt, wegen der Nhnung des baldigen Zcheidens", als man
vom Ztift aus unter Zrau Rat Zchlossers kundiger Zührung einen Besuch der
heidelberger Zchlotzruine unternahm. Nlan mutz es nun in Emilie Nellners
Buch selber nachlesen, wie da noch einmal alles Liebesglück, welches Zuleika-
Nlariannen vor 45 Iahren in dieser Ztätte an des Dichters Zeite geworden,
in Zchleiern der lVehmut und unter Tränen der Nührung in der Erinnerung
der sinnend versunkenen Greisin aufsteigt, und sie schließlich zur jüngeren
Kreundin mit einer scheuen Zeierlichkeit in die lVorte ausbricht: „Ich feiere
hier das Nndenken an einen der schönsten Nugenblicke meines Lebens. Zieh',
hier auf dieser Ztelle hat der grotze Dichter Goethe mich gekützt." lVenige Tage
nachher reiste die Zreundin mit Grotzmütterchen nach Irankfurt zurück. „Nlerk-
würdig war ihre damals ganz besondere Rührung bei dem Nbschied von Krau
Nat Zchlosser und dem Stifte. Es war, als könne sie sich gar nicht trennen von
der geliebten Kreundin und dem ihr so teueren Vrte! 5ie zerflotz in Tränen
und wir mutzten sie zum Einsteigen in den harrenden lNagen noch wahrhaft
nötigen. Nls wir eben abgefahren waren, rief sie plötzlich dem Nutscher ,halt!'
zu und sagte, sie habe eines ihrer häubchen vergessen, dies müsse sie haben.
Ooch sich besinnend, winkte sie dem Nutscher, weiterzufahren und sagte mir:
,Nein, ich will die haube auf dem Stifte zurücklassen, zum pfande, datz ich im
November wiederkomme!^" Oabei weinte sie immerfort, wie ein betrübtes
Nind, und konnte ihrer eigentlich unmotivierten Rührung nicht Nkeister werden.
Kraub, Carl Rottmaim.
34
265
wesenheit von Mütterchen Mllemer war wie ein leichter Zchlüssel, der flugs
aller herzen aufschlotz und sie übersprudeln lietz. „. . . Lei Gelegenheit von
§rau von Mllemers 5lnwesenheit wetteiferten die beiden alten Oamen im
Lrzählen und Kuftischen amüsanter Zzenen und Geschichten. Mrklich aller-
liebst heitere Ztunden waren es, wenn die beiden Kreundinnen zusammen
waren, und die Iuhörer hatten einsn wahren Genuh im Beobachten dieser
beiden so ganz verschiedenen Naturen. Zwei grellere Gegensätze als diese
edlen Krauen kann man selten finden. Bei dem lieben Grohmütterchen war
alles Natur, sie war leichtlebig, voller Grazie und Leweglichkeit. Jhr unver-
wüstlicher humor, ihre neckende, scherzende Nrt kontrastierte oft höchst komisch
mit der gemessenen, ernsthaften lDürde der Zrau Nat Zchlosser, die einer ge-
wissen Zchwerfälligkeit nicht entbehrte. lVenn §rau von Nlillemer in ihrem
groszen mimischen Talent Iemanden der Gesellschaft nachahmte und Zrau Nat
Lchlosser mit ganz erschrockener Nliene zusah, den 5paß nicht gleich verstand,
aber dann, wenn sie endlich des pudels Nern entdeckt, so herzlich anfing zu
lachen, daß ihr schier der Ntem ausging — das waren Zzenen, deren harmlose
heiterkeit noch in der Trinnerung ein Lächeln heraufzaubern! . . ."
von dreien solcher Lesuche auf dem 5tift berichtet lNarianne auch an
Goethe: l828, dann im Jahre darauf, wo sie dort den Oichter Ludwig Tieck
sah, und schließlich l8Zl mit den lNorten: „Nur so viel, daß ich mit professor
Treuzer bei Zchlossers auf dem Ztift Neuburg, wo ich wohnte, viel von Jhnen
sprach, und datz Jhrer herzlich und liebevoll gedacht wurde." Gar merkwürdig
und rührend war aber jener letzte Besuch Nkariannens im Zpätjahr l860. „Es
war an einem herrlichen perbsttag, an dem man den Zonnenschein und blauen
pimmel doppelt schätzt, wegen der Nhnung des baldigen Zcheidens", als man
vom Ztift aus unter Zrau Rat Zchlossers kundiger Zührung einen Besuch der
heidelberger Zchlotzruine unternahm. Nlan mutz es nun in Emilie Nellners
Buch selber nachlesen, wie da noch einmal alles Liebesglück, welches Zuleika-
Nlariannen vor 45 Iahren in dieser Ztätte an des Dichters Zeite geworden,
in Zchleiern der lVehmut und unter Tränen der Nührung in der Erinnerung
der sinnend versunkenen Greisin aufsteigt, und sie schließlich zur jüngeren
Kreundin mit einer scheuen Zeierlichkeit in die lVorte ausbricht: „Ich feiere
hier das Nndenken an einen der schönsten Nugenblicke meines Lebens. Zieh',
hier auf dieser Ztelle hat der grotze Dichter Goethe mich gekützt." lVenige Tage
nachher reiste die Zreundin mit Grotzmütterchen nach Irankfurt zurück. „Nlerk-
würdig war ihre damals ganz besondere Rührung bei dem Nbschied von Krau
Nat Zchlosser und dem Stifte. Es war, als könne sie sich gar nicht trennen von
der geliebten Kreundin und dem ihr so teueren Vrte! 5ie zerflotz in Tränen
und wir mutzten sie zum Einsteigen in den harrenden lNagen noch wahrhaft
nötigen. Nls wir eben abgefahren waren, rief sie plötzlich dem Nutscher ,halt!'
zu und sagte, sie habe eines ihrer häubchen vergessen, dies müsse sie haben.
Ooch sich besinnend, winkte sie dem Nutscher, weiterzufahren und sagte mir:
,Nein, ich will die haube auf dem Stifte zurücklassen, zum pfande, datz ich im
November wiederkomme!^" Oabei weinte sie immerfort, wie ein betrübtes
Nind, und konnte ihrer eigentlich unmotivierten Rührung nicht Nkeister werden.
Kraub, Carl Rottmaim.
34