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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

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Schwindrazheim, Oskar: Führer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0044

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Führer.

35 u. 36. Glasbildentwürfe von Augliftin Pacher, München.

eine schnelle Scheinblüthe mit nachfolgender
Unfruchtbarkeit werden bezahlen müssen.

Ja, wenn unser Uunstgewerbe aus
den Merken derer, die es zu Führern er-
kiest, lernen wollte, daß man nicht so-
gleich umfällt, wenn man sich auf sich
selbst stellt, daß man vielmehr ganz gut
dabei fährt, wie ein wahrer Poet aus
sich das Beste herausholt! — das lernt
es aber nicht daraus, es hat sich früher
an die Alten angeklammert, heut stellt es
sich auf die schultern der Neuen und
glaubt in merkwürdiger Verblendung, da-
durch ebenso eigenartig zu sein wie sie!

Ja, wenn es draus lernen wollte,
daß nicht die möglichst getreue Aopie der
Alten ein Aunstwerk ergiebt, sondern auf
vernünftigem Studium ihrer Errungen-
schaften zwar basirende, aber selbst-
errungene, eigene Erkenntniß der Erfor-
dernisse des Zweckes und der Technik,
gepaart mit eigenem Schönheitsgefühle
—- es kopirt heut wieder nur sklavisch
die Erkenntnißergebnisse Anderer!

Ja, wenn es draus den ästhetischen
Werth der Einfachheit erkennen wollte

— es ist aber nicht einfach aus diesem
Grunde, sondern weil die Einfachheit
„englisch" ist — und „englisch"„Mode" ist!

Ja, wenn es draus den Werth
eigenen Naturstudiums erkennen wollte,
wenn es sich vor den Aopf schlüge in der
Erkenntniß seiner Blindheit gegen die
Formenschätze unserer Natur, wenn es in
Wald und Feld, am Bachesrand, am
Meeresufcr Gottes Natur studiren wollte

— es kopirt, wie es bislang Akanthus

36.

und Palmetten kopirte, so heute die Lilien,
die Rosen rc. rc. der „Modernen", —
selbst in die Natur hineinzugreifen, davon
ist keine Rede. U. s. f.

Ja, wenn unser Aunstgewerbe Spreu
vom Weizen sonderte, wenn es das lernte,
was es wirklich draus lernen könnte!
Aber es ist so wenig gewöhnt, kritisch
vorzugehen, es ist so gewöhnt, am Gängel-
bande geführt zu werden, daß es zwar
manchmal den Aopf schüttelt über diese
oder jene barocke Idee, über diese oder
jene Vergewaltigung von Zweckmäßigkeit
und Technik, — es macht über kurz oder
lang doch alles mit! — Oder sollte man
gar Schlimmeres annehmen und glauben,
daß das „Geschäft", das in Aussicht steht,
unserem Aunstgewerbe höher stünde, als
Ueberzeugungstreue, als künstlerische Selb-
ständigkeit ?

Gewiß, die Geführten tragen große
Schuld, daß die Sache heut so läuft;
haben die Führer aber ihres Amtes immer
so, wie diese verantwortungsvolle Stellung
es verlangt, gewaltet? paben sie ihre
heilige Aufgabe, die ihnen die Fortent-
wicklung der deutschen Aunst gestellt hat,
immer so erfaßt, wie sie erfaßt werden
muß, in Dankbarkeit gegen die Vor-
sehung, die sie aus der Menge empor-
hob, in Ehrfurcht gegen das Gewaltige,
dessen Sturmvögel sie sein sollen, in
demüthiger Liebe zu denen, welchen sie
Führer sein sollen auf dem Wege zurpöhe?

paben sie neben den Rechten, die
ihnen ihr Amt giebt, immer auch seine
Pflichten gesehen und wahrgenommen?

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