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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

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Mielke, Robert: Eine Ausstellung deutscher Volkskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0080

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Eine Ausstellung deutscher Volkskunst.

nachzukommen, und die oben geschilderten Verhält-
nisse beweisen, daß dies für eine allgemeine Kunst-
empfindung noch wenig bedeutet. Anders aber,
wenn eine Welt von künstlerischen Erinnerungen vor
UNS auftaucht, die ilt ihrer schlichten Innerlichkeit,
ihrer gemüthstiefen Ueberzcugung dem Einzelnen
von den: Märchenzauber feiner ersten Kindheit, einein
Volke aber von deit entschwundenen Tagen seiner
künstlerischen Jugend plaudert. Daß dann verloren
geglaubte Empfindungen wieder wach werden und
neue Triebe aufsprießen, beweisen verwandte Re-
gungen in der Poesie und Musik. Ohne Sammlung
unserer alten Volkslieder und ihre literarische und
musikalische verwerthung von Uhland, Silcher u. A.
ständen wir vielleicht auch hier vor einer Abneigung
des Volkes bei allen poetischen Neuschöpfungen.

Noch einem anderen Einwand nruß hier be-
gegnet werden, dem, daß unsere Gegenwart nach
neuen Formen für ihre Bedürfnisse suchen müsse,
und daß daher auch die der Kunst Fernstehenden
von dem Alten eher abgewandt werden sollten. Ge-
wiß sind unsere Zeiten anders gestaltet als die unserer
Vorfahren; aber mit keinem Worte ist bisher ein
solcher Mißbrauch getrieben wie mit dem Worte
„modern". Niemand kann sich bewußt dem ent-
winden, was in seiner Zeit liegt; aber auch niemand
kann das Leben und weben seiner Gegenwart von
den Fäden trennen, durch die sie mit der Vergangen-
heit zusammenhingen. Gerade diejenigen, die sich
oft am lautesten auf ihr modernes Empfinden be-
rufen, können damit nur nothdürftig ihren eigenen
Mangel an verständniß der Moderne verdecken.
War doch unlängst in einem Kunstblatt zu lesen,
daß das Volk als solches gar keinen Einfluß auf
die Kunst besitze, sondern nur knechtisch Alles von
wenigen herrschenden empfange. Za wenn man
die Kunst nur in ihrem äußerlichen Formenwechsel
betrachtet, kann inan vielleicht zu einem so ober-
flächlichen Urtheil gelangen; wer aber nur die deutsche
Kunst in ihrem Zusammenhangs mit der Volksseele
verfolgt, wird erfahren, wie sie aus dem Hause, aus
dem manchmal schlichten Interessenkreis des Indi-
viduums und aus seiner naiven Gefühlswelt heraus-
wächst. Selbst die äußeren Gestaltungen ihres geistigen
Horizontes, die durch wirthfchaftliche Verhältnisse,
durch politische und soziale Freiheit, bezw. Einschrän-
kung, durch Religion und andere Kräfte bestimmt
werden, weisen in ihren Gefühlswerthen immer
wieder auf die Stimmungen der Volksseele zurück.
Ist es ausgeschlossen, daß wir mit unserer Ausstellung
eine versunkene Welt Heraufziehen können, um sie
ain Licht der Sonne wieder ausleben zu lassen, so
dürfen wir doch hoffen, in ihren: Formenkreise eine

Gedankenwelt wiederzufinden, die uns nicht fremd
ist, sondern sich in der Geschichte unseres Volkes, in
der Natur unserer heimath und in dem Märchen-
zauber unserer eigenen Kindheit wiederspiegelt, hier
sind die unwägbaren Kräfte, die die vielen Ansätze
künstlerischen Schaffens auch im neuzeitlichen Gewände
zu nationaler Vollkommenheit emporreifen lassen.
Erst das ist die rechte Moderne, die die geistige
Disposition ihrer Vergangenheit nicht verläßt, sondern
sie in der Bewegung ihrer Zeit umformt und ge-
staltet. Unsere Volkskunst, soweit sie noch nicht unter

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94. Bauernsessel, norddeutsch, ^8.Jahrh. Bach Röger: „Möbel

aller Stilarten" (Verlag von Jos. Albert, München).

dein eisigen Hause der Industrie erstarrt ist, besitzt
Keime, die emporblühen, wenn sie an das Licht
volksthümlicher Gesinnung kommen, wenn sie von
den: Atheinzuge des lebenden Geschlechts gestreift
werden.

Künstlerische Uebung, geschult an einer bewußten
Förderung des Handwerks, besitzen wir; was uns
fehlt, ist künstlerisches Behagen, dasselbe künst-
lerische Behagen, das der Landinann empfand, wenn
er zu den: Giebelschmuck seines Hauses aufblickte, —
das der Fuhrmann kannte, wenn er sich seines bunt
beinalten Pferdegeschirrs freute, das nur der em-
pfinden kann, der die Kunst nicht nur mit den: Auge,

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