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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

DOI Artikel:
Lipps, Thorsten: "Kunst" und "Kunstgewerbe"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0109

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KurtfK-unb Aunstgewerbe.

kationen von Fornren, die als solche, oder als diese
bestimmten Raumformen, die Vorstellung solcher
Verhaltungsweisen in uns entstehen lassen. Der Zu-
sammenhang derselben ist ein rein formal be-
dingter Lebenszusammenhang.

Und von diesem Zusammenhang völlig ver-
schieden ist der Zusammenhang des „materiellen"

Lebens, d. h. der für den materiellen Bestand des
Ganzen und eventuell seine Brauchbarkeit notwendigen
Leistungen des Materials.

Beide Zusammenhänge bestehen aber nicht nur
neben einander, sondern stehen zugleich in innerer
Beziehung. Es fragt sich, welcher Art ist diese Be-
ziehung?

Die Antwort nun ergibt sich ohne Weiteres aus der
Beantwortung einer anderen Frage: Worin eigent-
lich besteht die materiell und technisch notwendige

Form beim Erzeugniß der technischen Kunst, etwa
bei einer Säule? Wie muß die Säule aus materiellen
Gründen an ihrem unteren Ende gebildet sein? Auf
diese Frage ist offenbar keine bestimmte Antwort
möglich. Den materiellen Forderungen entsprechen
hier unendlich viele Formen. Eine dieser Formen
ist die Wulstform. Zugleich ist doch diese Form als

solche nicht materiell ge-
fordert. Es könnten, so-
weit die nmteriellen Gründe
bestimmend wirken, unend-
lich viele Formen an ihre
Stelle treten.

Die materiell geforderte
Form, oder diejenige, die
uns über den materiellen
Bestand des Ganzen be-
ruhigt, ist also eine unbe-
stimmte. Dann folgt, daß
jede bestimmte Form
ihre Berechtigung als diese
bestimmte Form nicht
lediglich der materiellen
Nothwendigkeit verdankt,
sondern, abgesehen davon,
also in sich selbst einen
Rechtsgrund trägt. Die
bestimmte Form muß ihren
spezifischen Sinn als
reine Form haben. Zst
sie nicht als solche sinn-
voll, so ist sie sinnvoll nur
insofern, als sie die materiell
geforderte und an sich un-
bestimmte Form implicite
in sich trägt. Sie ist
im Uebrigen sinnlos, also
ohne Existenzrecht.

Darin liegt die Ant-
wort auf die obige Frage.
Die nicht materiell not-
wendige Form ist von
dem Erzeuger des tech-
nischen Kunstwerkes frei gewählt. Da er in ihrer
Wahl nicht niehr bestimmt ist durch die For-
derungen, welche die materielle Existenzfähigkeit
des Ganzen und feine Brauchbarkeit stellt, so muß
ihn etwas Anderes leiten. And dies kann nur die
Rücksicht auf den ästhetischen Eindruck seines Er-
zeugnisses sein. Die gewählte Form ist also Kunst-
form. Dann dürfen wir sagen: Die Kunstform ver-
hält sich zur materiell notwendigen Form wie das
Bestimmte zum Unbestimmten, wie das Konkretum

J37. Wandschrank. Entwurf, Ausführung und Zeichnung von Bildhauer
I. Bradl, München.
 
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