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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

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Lipps, Thorsten: "Kunst" und "Kunstgewerbe"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0112

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Kurt ft und Knnstgewcrbe.

Die zweite Stufe ist die der Schnmckformen.
Dabei nenne ich Schmuckformeu solche, deren spezifische
Ligenart mit dein Material und seinen Funktionen
nichts mehr zu thun hat. Line solche Schmuckform
ist die Wulstsorm der Säulenbasis.

Der innere Zusammenhang jener veranschau-
lichenden Formen mit dem rohen technischen
Gebilde, das die Funktionen zwar in sich trägt, aber
ohne daß sie für's Auge rein herausträten, ist ein
leuchtend. Zugleich ist deutlich, daß der Gegensatz
zwischen beiden im Grunde gar kein Gegensatz ist,
sondern ein Unterschied des Mehr und Minder. Auch
in dem rohen Gebilde kann schon die Funktion der
Theile mehr oder minder verhüllt sein, also mehr
oder minder zur Anschauung gelangen. Ls kann
sogar eine Funktion völlig ungesucht, vermöge der
Natur des Materiales oder aus Gründen der Bequem-
lichkeit der Technik, in der Form rein zur Aussprache
gelange». So ergibt schon das einfache Säge» von
selbst eine ebene Fläche. Gder ein Baumstamm ist
von brause aus ein gerader. Ts besteht also zwischen
dem rohen Gebilde und demjenigen, in welchem die
Funktionen anschaulich gemacht sind, keine eigentliche
Grenze.

Lbenso besteht aber auch zwischen dieser Stufe
der bloßen Veranschaulichung und der Stufe der
Schmucksormeu keine Grenze. Auch die schmuckloseste
Form des technischen Kunstwerkes ist ihrem Charakter
nach schon Schmucksorm. Zn dem Maaße, als sie
die einzelnen materiellen Funktionen rein zum Aus-
druck bringt, entfernt sie sich nothwendig zugleich
von der thatsächlichen Beschaffenheit der materiellen
Funktionen und bringt ein Leben zum Ausdruck, das
für unsere Vorstellung nur noch an die Form als
lolche gebunden erscheint. Dieses reiit formale Leben
gestaltet dann die Schmuckform lediglich weiter, und
immer freier von der Beschaffenheit der materiellen
Leistungen, aus. Ein Steiublock etwa sei rechtwinkelig
gebildet. Dann sind in ihn: gewisse Grundfunktioneu,
das Tragen oder das Wirken gegen die Schwere,
die Ausdehnung in die Breite und die Wirkung in
öie Tiefe, klar geschieden. Aber eben die Schei-
dung dieser Funktionen ist dem Material fremd.
And denken wir uns den Stein höher als breit und
tlef, so erscheint zugleich die horizontale Ausdehnung
der vertikalen untergeordnet. Der Stein faßt
sich horizontal zusammen, um vertikal sich aufzu-
richten. Das Letztere ist der Zweck, die eigentliche
,/Thätigkeit" des Gebildes. Damit ist der Stein
nicht inehr Stein, sondern Träger eines Lebens, das
ni seiner Ligenart nur in einer ganz anderen Sphäre
der Wirklichkeit vorkommt. Auch schon dieser ledig-
lich anschaulich zweckmäßig gebildete Stein gebärdet

14>. 5t. Jakob von J. Bradl, München.

Ans detn „Jahrbuch der deutschen Gesellschaft f. christl. Kunst".

sich für unsere Vorstellung völlig steinwidrig. Ls
ist also das Gebahren des mit Schmuckformen ver
seheuen Steines nichts grundsätzlich Neues.

Darnach geht das roheste technische Gebilde in
das vollkommenste technische Kunstwerk stetig über.
Auf keiner Stufe findet sich etwas, das nicht im Keim
in der früheren schon enthalten läge. Das kunst-
gewerbliche Lrzeugniß ist das Lrgebniß einer mit
innerer Konsequenz und ohne irgendwelchen Sprung
sich vollziehenden Lntwickelung des Sinnes eines in
sich existenzfähigen und eventuell praktisch brauch-
baren materiellen Dinges. Eben darauf beruht die

Pt

Aunst und Handwerk. IQ, Jitlirii, Heft 3.

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