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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

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Streiter, R.: Moderne Kunstbestrebungen in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0183

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bltoberne Kunftbejirebuitcjen in Wien.

wußte zunächst kein anderes und besseres Mittel, als
auch nach Men einen Kanal für jene große
Strömung zu leiten, die, von England und Amerika
ausgehend, in fast allen europäischen Kulturländern
eine starke Bewegung in den tektonischen und dekora-
tiven Künsten hervorgerufen hatte. „Zur Schulung
der einheimischen Kräfte und zur Erziehung des
Publikums zu einem neuen, gediegenen Geschmack"
ließ v. Scala zunächst eine große Zahl moderner
englischer, amerikanischer, belgischer, französischer
Möbel genau kopiren und im k. k. Museum für
Kunst und Industrie zur Ausstellung bringen. Gegen
diese plötzliche Einführung des „neuen Stiles" von
staatlich-autoritativer Seite lehnte sich nun der größte
Theil der Wiener Kunstgewerbetreibenden, Fabri-
kanten und Verkäufer auf, augenscheinlich nicht so
sehr von künstlerischen Ueberzeugungen, als von ge-
schäftlichen Interessen getrieben. Man befürchtete
eben von einem raschen Amschlag des Geschmackes
zuerst eine empfindliche Schädigung des heimischen
Marktes durch die ausländischen Erzeugnisse, dann
aber sah man sich vor die unbequeme Nothwendig-
keit gestellt, den in manchen Geschäftsbetrieb tief
eingreifenden Wandel mitmachen, wieder einmal um-
lernen, nach neuen Mustern, neuen erfindenden und
ausführenden Kräften sich Umsehen zu müssen. Der
Feldzug, der aus solchen egoistischen Motiven gegen
posrath v. Scala und seine Anhänger eröffnet wurde,
erscheint demnach begreiflich; nicht so ganz dagegen

238. Elektrische Lampe. Entwurf von !)ans Friedet, Aus-
führung in Messing von Ferd. tsarrach u. Sohn, München
(stg der wirkt. Größe.)

(Die Lampe ist in das runde Mberlicht über einer Thüre eingesetzt.)

237. Elektrische Lampen; Entwurf von lfans Friedet, Aus-
führung in getriebenem Messing von F. kfarrach u. Sohn,
München, (hg der wirkt. Größe.)

(Die Lampen sind an den Endigungen einiger Bankpfosten angebracht.)

die Kampfmittel, die dabei in Anwendung gebracht
wurden. Daß man den Erzherzog Rainer zur demon-
strativen Niederlegung des Protektorates über den
Kunstgewerbe-Verein und das Museum für Kunst
und Industrie zu bestimmen wußte, beweist zur
Genüge, daß es an ungerechten, gehässigen An-
schwärzungen der Wirksantkeit v. Scala's nicht fehlte.
Trotzdem und nachdem auch das Kuratoriuin des
Museums, dem Erzherzog folgend, sein Aint nieder-
gelegt und v. Scala dem Kunstgewerbe-Verein die
bis jetzt für feine ständige Ausstellung benutzten
Räume des Museums gekündigt hatte, ergriff man
an maßgebender Stelle Partei für den vielangefein
deten Direktor. Das Minifteriunr hielt v. Scala nicht
nur in seiner Stellung, sondern ertheilte seiner Kunst-
politik durch Genehmigung neuer, in fortschrittlichem
Sinne abgefaßter Statuten für das Museum sogar
ein Vertrauensvotum. Damit war, soweit es sich
um offizielle staatliche Förderung handelt, im Wiener
Kunstgewerbe der Sieg der inodernen Richtung ent-
schieden.

Diese Wendung der Dinge ist gewiß erfreulich;
denn wenn irgendwo, so bedurften in Men die
kunstgewerblichen Kreise einer energischen Aufrütte-
lung. Wir dürfen pofrath v. Scala und allen
denen, die ernst und ehrlich mit ihm streben, Glück
und Erfolg zu fernerem unbeirrtem und zielbewußtem
Vorgehen wünschen, indem wir hoffen, daß das aus
erzieherischen Gründen zunächst für nothwendig be-
fundene Kopiren ausländischer, namentlich englischer
Muster nach und nach durch imnrer selbständiger

Kunst und Handwerk. Q&. Iahrg. Heft 6.

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