Moderne Runstbestrebungen in Mien.
252. Elektrischer Standleuchter aus Schiniedeisen. Entworfen
und ausgeführt von Jos. I i m in e r in a n n u. L o., München.
(1/4 der wirkl. Größe.) Muster geschützt.
gerade Gegentheil: eine rein dekorative, vom konstruk-
tiven Aern der Baumasse völlig unabhängige, manch-
mal erstaunlich willkürliche und inkonsequente Ver-
wendung jener Formen. So erscheinen auf zwei
Skizzen Glbrich's für das Sezessions-Gebäude in
Men Vollsäulen frei vor die Front gestellt, die nichts
tragen, nicht einmal durch Gebälkkröpfe mit der
Wand verbunden sind. Gin derartiges, an Theater-
dekorationen erinnerndes Spielen mit alten, konven-
tionellen Architekturformen als „moderne Architektur"
zu erklären, deren Aunstformen aus der Aonstruktion
eittwickelt sind, erscheint als ein schlechter Scherz,
über den man zur Tagesordnung übergehen könnte,
wenn nicht in der heutigen Verwirrung der Begriffe
auch diese mit verblüffender Siegesgewißheit aus-
gerufene Lehre ihre zahlreichen Gläubigen fände.
Was mag über das antikisirende Formenspiel der
Wagner-Schule ein Mann wie van de Velde denken,
der schon die Renaissance „ein verbrecherisches Spiel
des Lebens mit dem Tode" nannte, und der, ein be-
geisterter Verehrer der Gothik, bei seinen kunsthand-
werklichen Schöpfungen in der Durchführung des
konstruktiven Prinzips bis zum Aeußersten geht? <£s
ist gewiß bezeichnend für die Alarheit der Ziele und
die Sicherheit des Urtheils, wenn in den gleichen, der
modernen dekorativen Aunst gewidmeten Zeitschriften
van de Velde und Mtto Wagner mit denselben kritik-
losen Lobeshymnen als Vorkämpfer der einzig wahren
Moderne gepriesen werden!
Die Gegensätze sind nicht so schroff und unver-
söhnlich, wie es auf den ersten Blick scheint — so
wird man einwenden können —; selbst bei Gegen-
polen, wie van de Velde und Wagner, sind verwandte,
nach derselben Richtung strebende Grundzüge des
Schaffens zu entdecken. Zugegeben! Auch die Wagner-
Schule hat einzelne sehr anerkennenswerthe Leistungen
aufzuweisen, die aus dem ernsten Bemühen erwachsen
sind, in neuzeitlicher Auffassung Aonstruktion und
Aunstform in möglichst enge Beziehung zu bringen.
Vor Allein sind hier Wagner's ausgeführte Entwürfe
für die Wiener Stadtbahn zu nennen. Gb aber
auch hierbei durch die Verbindung antikisirend be-
handelten Steinbaues mit entsprechend dekorirten
Gisenkonstruktionen der sicherste Weg zu den denkbar
befriedigendsten Lösungen der schwierigen Aufgabe
eingeschlagen ist? Jedenfalls bleibt die Frage be-
rechtigt: Warum soll die Verbindung von klassizistisch
prosilirten Steinbauten mit Gisenkonstruktionen „mo-
derner" sein als eine an die Formgebung anderer
Stilarten anschließende Gestaltungsweise, voraus-
gesetzt, daß auch bei letzterer Steinmasse und Lisen-
konstruktion ästhetisch gut Zusammengehen? Wagner's
Stadtbahnbauten stehen übrigens als zielbewußte
Schöpfungen der Moderne in Wien ziemlich ver-
einzelt da. hingegen äußert sich an anderen Werken
dieser Richtung eine kaum begreifliche ästhetische Ver-
wirrung. So baut Joseph poffmann, ein Wagner-
Schüler, am Mehlmarkt in Wien zwei einheitlich be-
handelte Miethhäuser, an deren langen, hohen Fronten
in peinlichster Befolgung des Satzes: „Der Architekt
hat immer aus der Aonstruktion die Aunstform zu
entwickeln", jede architektonische Gliederung vermieden
ist. Fenster und Thüren sind einfach aus der glatten
Wand herausgeschnitten und ohne Umrahmungen
gelassen, Gesimse oder Gurte, welche die Stockwerke
trennen, giebt es nicht! Ja, selbst aus ein Paupt-
gcsims oben verzichtet der unentwegt mod-rne Architekt
mit der Begründung, daß bei unseren hohen Däusern
das Hauptgesims seinen Zweck, die Fassade gegen
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252. Elektrischer Standleuchter aus Schiniedeisen. Entworfen
und ausgeführt von Jos. I i m in e r in a n n u. L o., München.
(1/4 der wirkl. Größe.) Muster geschützt.
gerade Gegentheil: eine rein dekorative, vom konstruk-
tiven Aern der Baumasse völlig unabhängige, manch-
mal erstaunlich willkürliche und inkonsequente Ver-
wendung jener Formen. So erscheinen auf zwei
Skizzen Glbrich's für das Sezessions-Gebäude in
Men Vollsäulen frei vor die Front gestellt, die nichts
tragen, nicht einmal durch Gebälkkröpfe mit der
Wand verbunden sind. Gin derartiges, an Theater-
dekorationen erinnerndes Spielen mit alten, konven-
tionellen Architekturformen als „moderne Architektur"
zu erklären, deren Aunstformen aus der Aonstruktion
eittwickelt sind, erscheint als ein schlechter Scherz,
über den man zur Tagesordnung übergehen könnte,
wenn nicht in der heutigen Verwirrung der Begriffe
auch diese mit verblüffender Siegesgewißheit aus-
gerufene Lehre ihre zahlreichen Gläubigen fände.
Was mag über das antikisirende Formenspiel der
Wagner-Schule ein Mann wie van de Velde denken,
der schon die Renaissance „ein verbrecherisches Spiel
des Lebens mit dem Tode" nannte, und der, ein be-
geisterter Verehrer der Gothik, bei seinen kunsthand-
werklichen Schöpfungen in der Durchführung des
konstruktiven Prinzips bis zum Aeußersten geht? <£s
ist gewiß bezeichnend für die Alarheit der Ziele und
die Sicherheit des Urtheils, wenn in den gleichen, der
modernen dekorativen Aunst gewidmeten Zeitschriften
van de Velde und Mtto Wagner mit denselben kritik-
losen Lobeshymnen als Vorkämpfer der einzig wahren
Moderne gepriesen werden!
Die Gegensätze sind nicht so schroff und unver-
söhnlich, wie es auf den ersten Blick scheint — so
wird man einwenden können —; selbst bei Gegen-
polen, wie van de Velde und Wagner, sind verwandte,
nach derselben Richtung strebende Grundzüge des
Schaffens zu entdecken. Zugegeben! Auch die Wagner-
Schule hat einzelne sehr anerkennenswerthe Leistungen
aufzuweisen, die aus dem ernsten Bemühen erwachsen
sind, in neuzeitlicher Auffassung Aonstruktion und
Aunstform in möglichst enge Beziehung zu bringen.
Vor Allein sind hier Wagner's ausgeführte Entwürfe
für die Wiener Stadtbahn zu nennen. Gb aber
auch hierbei durch die Verbindung antikisirend be-
handelten Steinbaues mit entsprechend dekorirten
Gisenkonstruktionen der sicherste Weg zu den denkbar
befriedigendsten Lösungen der schwierigen Aufgabe
eingeschlagen ist? Jedenfalls bleibt die Frage be-
rechtigt: Warum soll die Verbindung von klassizistisch
prosilirten Steinbauten mit Gisenkonstruktionen „mo-
derner" sein als eine an die Formgebung anderer
Stilarten anschließende Gestaltungsweise, voraus-
gesetzt, daß auch bei letzterer Steinmasse und Lisen-
konstruktion ästhetisch gut Zusammengehen? Wagner's
Stadtbahnbauten stehen übrigens als zielbewußte
Schöpfungen der Moderne in Wien ziemlich ver-
einzelt da. hingegen äußert sich an anderen Werken
dieser Richtung eine kaum begreifliche ästhetische Ver-
wirrung. So baut Joseph poffmann, ein Wagner-
Schüler, am Mehlmarkt in Wien zwei einheitlich be-
handelte Miethhäuser, an deren langen, hohen Fronten
in peinlichster Befolgung des Satzes: „Der Architekt
hat immer aus der Aonstruktion die Aunstform zu
entwickeln", jede architektonische Gliederung vermieden
ist. Fenster und Thüren sind einfach aus der glatten
Wand herausgeschnitten und ohne Umrahmungen
gelassen, Gesimse oder Gurte, welche die Stockwerke
trennen, giebt es nicht! Ja, selbst aus ein Paupt-
gcsims oben verzichtet der unentwegt mod-rne Architekt
mit der Begründung, daß bei unseren hohen Däusern
das Hauptgesims seinen Zweck, die Fassade gegen
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