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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

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Hagen, L.: Von der Berliner Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0322

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Don der Berliner Kunstausstellung.

stickerei im Plattstich nicht zur vollwerthigen Geltung
gelangen. Die allbekannten Arbeiten von Frl. Marie
Kirschner gehören nur zur Hälfte in das Gebiet
der Stickerei; sie sind theilweise gemalt, in flotter,
anmuthiger und stark naturalistischer Manier. Die
Wände der von ihr eingerichteten Räume sind mit
Stoff bekleidet und von gefälligen Blumenranken
belebt, die aber auf dem Niveau eines vornehmen
Modenblattes stehen bleiben. Der Geist des eleganten
Salons beherrscht diese Arbeiten; geistlos sind sie nicht,
aber auf künstlerische Vertiefung erheben sie
keinen Anspruch; die leichte, lockere Teckmik
dürfte sehr vergänglicher Natur sein.

Erscheint die oben erwähnte Bearbeitung
des Botticellimotives als Ausfluß der Neigung
des weiblichen Gemütes, hartnäckige Ausdauer
für künstlerische Bethätigung zu halten, so
vertritt Frl. Kirschner den Dilettantismus der
eleganten Frau; alle übrigen Sachen, mit
einer einzigen Ausnahme, charakterisiren das
Anlehnungsbedürftige, Nachempfindende der
weiblichen Natur. Somit könnten denn Freunde
und Gegner weiblicher Kunstthätigkeit wieder
ihren alten Streit beginnen und der Unpartei-
ische wäre genöthigt, den Gegnern recht zu
geben. Glücklicherweise aber haben die Freunde
der Sache in den Arbeiten von Gertrud
Rommel zum mindesten Material genug
auf ihrer Seite, um muthig in die Zukunft
zu blicken. Es hängt eben bei jedem Talent
fast alles davon ab, unter welchen Einflüssen
es sich entwickelt. Die augenblickliche Gunst
der kunstgewerblichen Mode hat eine Anzahl
von Kräften in's Feld geführt, die sich einreden,
eine mehr oder minder geistreiche Idee genüge,
um eine künstlerische Stickerei hervorzubringen.
Insbesondere scheint die Ansicht verbreitet, man
brauche nur malen zu können, um auch sofort als
große Stickerin aufzutreten. Ulan übersieht, daß hier
die Kenntniß der Technik unendlich viel verwickelter
ist als z. B. beim Kupferstich. Es gibt ja in der
Stickerei so viele verschiedene Ausdrucksmittel. Von
jedem dieser Ausdrucksmittel inuß inan genau wissen,
ob und inwiefern es sich für die jeweils gestellte
Aufgabe eignet, Hier tritt der Unterschied von:
Kupferstich zu Tage, der immer nur eine einzige Auf-
gabe zu erfüllen hat. Man kann daher nicht
mit Erfolg eine Stickkünftlerin sein, ohne sich dieser
Kunst rückhaltlos hinzugcben. Als künstlerischen
Nebenerwerb kann man sie nicht betrachten. In der
richtigen Erkenntniß dieser Thatsache wurzelt denn
auch Frl. Rommel's Erfolg. Sie hat auf der
Münchener Kunstgewerbeschule die unentbehrlichen

439. Stuhl.
Stickerei von
Gertr. Rommel.
Berlin.

0/s d. w. Gr.)

gründlichen Kenntnisse im Zeichnen erworben; dazu
besitzt sie jene umfassende Allgemeinbildung, die bei
den Iungdeutschen und den Frauenrechtlerinnen in
Mißkredit geraten ist — vermuthlich, weil es nicht
gerade leicht ist, sie zu erwerben. Jedenfalls ist sie
für Stickkünstlerinnen durchaus nicht entbehrlich.
Ihre eigentliche Ausbildung in der Stickerei hat die
Dame iin Atelier von Frl. Ida Seliger erhalten,
das bekanntlich mit der Berliner Kunstgewerbefchule
tu Verbindung steht und früher von Frau Deruburg,
geb. Seliger, geleitet wurde. Frau Deruburg war
den einzigen Weg gegangen, der befchritten werden
konnte, wenn die Kunst des Stickens wieder int künst-
lerifcheit Sinne belebt werden sollte: sie studirte das
Alte und machte es modernen Zwecken dienstbar.
Frl. Seliger ist denselben Weg gegangen, und wenn
sich heute Frl. Rommel's Arbeiten durch zielbewußte
Anpassung der Stickereitechnik an den zeichnerischen
Gedankengang besonders auszcichnen, so beruht das
darauf, daß nach dieser Richtung hin das Haupt-


Kunst und Handwerk. 49. Jahrg. Heft 1h.

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