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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

DOI Artikel:
Muthesius, Thomas: Englische und kontinentale Nutzkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0347

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Englische und kontinentale Nutzkunst.

was die Engländer
thatcn, sie suchten nach
neuen Formen, pier-
mit lösten sie eine
Spannung aus, die
offenbar drückend auf
aller Welt lag und
auch auf dem Aon
tinent mächtig gefühlt
wurde: die Sehnsucht,
ausdemewigenWieder-
kauen schon einmal
verarbeiteter Formen
herauszukommen. So
sind feit drei Jahren
eine ganze Reihe von
Aünstlern ansgestanden
mit der ausgesprochenen
Absicht, ein neues künst-
lerisches Gewerbe zu
schaffen, ein Gewerbe,
das die alten Formen
vermeidet und neue, das
Wesen unserer Zeit ver-
körpernde, praktische,
aus dem Zweck entwickelte und dabei eine persönliche
Sprache ihres Schöpfers sprechende Formen trägt.
Denn so etwa kann mait das programin unserer neuen
Aunstgewerbeleute fassen. Rat England haben die
Erzeugnisse, die ihren: Thätigkeitsdrange entsprießen,
nur sehr wenig gemein, was ihnen unbedingt als
Vortheil angerechnet werden muß uird ihre beste

<*78. Schiringestell von Weiße, Dresden.
('/10 der wirk!. Größe.)

Eigenschaft ist. Und doch ginge man fehl, wollte
man den englischen Ursprung ihrer Anregung leugnen.
Wir leben alle einer von den: andern und alle Aultur-
bildner ziehen an demselben Strange oder doch an
Strängen, die zu demselben Aarren gehören. Zeden
falls aber steht fest: wir haben feit ein paar Zähren
auf dem Aontinent eine neue und zwar selbständig
gefärbte Aunst, sei ihr Umfang, ihre Tiefe, ihre Trag-
weite noch so diskutirbar.

Der Gedanke läge also wohl auch an und für
sich nahe genug, einmal zu einein Vergleich dieser
neuen festländischen Aunst mit der englischen, sozusagen
der Tochterkunst mit der Wutterkunst, zu schreiten.
Was zu diesem Vergleich aber besonders heraus-
fordert, ist eine Nebenerscheinung zu dieser neuen
festländischen Aunst, es ist das Treiben einer sie be-
gleitenden Presse, das auch auf denjenigen, der
unsere neue Aunst nnt Antheil verfolgt, verstimmend
wirken muß. Zede neue Erscheinung wird mit
Trompetenstößen begrüßt, mau schreibt begeisterte
Leitartikel über ein Sophakissen, das eine aus Borte
aufgenähte Fratze trägt, man ist, alles Frühere bei
Seite schiebend, durchaus von dem Grundsätze des eben
die Schulbank verlassenden Schülers in Goethe's Faust
beseelt: „Die Welt, sie war nicht, eh' ich sie erschuf" und
sieht darin nnt diesen: Schüler „seinen edelsten Beruf".
Nicht nur hat man die alte Aunst überwunden, man
dehnt seine Anßachtuug auch bereits auf England
aus, das Ursprungsland der ganzen neuen Bewegung.
„England ist überholt", so heißt es. „Deshalb konrmen
die Engländer nicht weiter,, weil sie nicht von der
stilisirten Bluine loskommen", schreibt der Zournalist,
offenbar sich nicht bewußt, wie viele Schiefheiten er
in diese wenigen Worte kleidet. Aehnliche Urtheile hört
inan in Deutschland jetzt innner häufiger.

Ulan kann dem gegenüber wohl nichts besseres
thun, als wieder eininal von Neuen: diese englische
Aunstbewegung in ihrer Tiefe und Breite beleuchten,
ihr inneres Wesen entfalten, um sich darin unsere
junge koutineutale Bewegung spiegeln zu lassen.

-Z77. Schmiedeisernes Tischchen
von Weiße, Dresden.

0/12 d. w. Gr.)

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