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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

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Muthesius, Thomas: Englische und kontinentale Nutzkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0351

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Englische und kontinentale Nutzkunst.

stellung der Home Arts and Industries Association.
Dieser Verein hat das Ziel, uitter den ärmeren,
besonders den ländlichen Bevölkerungsklassen den
gewerblichen Dilettantismus in der Weise zu pflegen,
daß Damen und Herren höherer Stände (die zu diesem
Zwecke einen Ausbildungskursus in einer Zentral-
schule durchmachen) abendliche Nnterrichtsklassen ein-
richten, in welchen kleinere häusliche Gebrauchs- und
Schmuckgegenstände hergestellt werden. Die Ausstellung
in der Albert-Palle dient zum Verkauf dieser Lachen.
Sie ist hochwichtig als Maaßstab für das Niveau
des Geschmackes und die Volksthümlichkeit der gewerb-
lichen Künste in England, wichtiger in dieser Be-
ziehung, als selbst die Arts and Tratts-Ausstellungen.
Man findet unter diesen Erzeugnissen die köstlichsten
Lachen, es ist selbst für den verwöhntesten Geschmack
eine Lust dort zu kaufen und selbst die gewöhnlichsten
Leistungen sinken nie unter eine bestimmte anständige
Geschmacksstufe herab. — Man denke sich heute einen
solchen Verein und eine solche Ausstellung bei uns!
Zeder, der die Neigungen unseres großen Publikums
kennt, kann sich selbst sein Bild machen, wie sie
aussehen würde.

Noch ein Punkt, und vielleicht der wichtigste,
muß hervorgehoben werden: der Engländer hat ein
paus und damit die einzig richtige Grundlage für eine
häusliche Kunst. Lolange wir in der trostlosen Etage
leben, wird eine häusliche Aunst noch lange auf sich
warten lassen. Nur in: eigenen Pause, nicht in der
Miethswohnung, ist Raum für eine gesunde Kunst-
entfaltung, nur hier ist die Möglichkeit gegeben, den
pebel für eine Verallgemeinerung künstlerischer Be-
dürfnisse anzusetzen. Diesen Vortheil hatte England
und hat ihn, seit Ruskin seine Stimme erhob und
Morris praktisch in die neuen Bahnen einlenkte, nach
Kräften ausgenutzt. England hat heute eine neue
häusliche Kunst, in breitem Strome fließt die Fort-
entwicklung derselben dahin, Tausende von pänden
arbeiten an ihr, punderttausende von Perzen erfreuen
sich an ihr, eine Reihe von großen Künstlern führen sie.

Zn dieser breiten, stetigen, in ruhigen Bahnen
fortarbeitenden Entwicklung scheint mir die Erklärung
dafür zu liegen, weshalb die sensationellen Leistungen
fehlen, die unsere Neuigkeitsjäger heute in England
vermissen. Zch weiß nicht, ob man sie der englischen
Kunst wünschen soll, nöthig hat sie sie jedenfalls
heute nicht mehr. Die Lensationsfeuche hat uns in
Deutschland aus einem Stil in den andern, durch
Renaissance, Barock, Rococo und Klassicismus gehetzt,
kaum sind heute neue Ansätze gefaßt, so jagen wir
wieder über sie dahin, als triebe uns ein böser Geist.
Diesen Eindruck wird inan nicht los, wenn man,
besonders in Deutschland, die neuen Erscheinungen,

namentlich die auf dem Gebiete des Möbels, verfolgt.
Ein ungeheuerer Wirrwarr umgibt einen, ein hastiges
Umsichgreifen nach den gewagtesten Versuchsmitteln,
ein Tasten in allen dunklen Richtungen, die man
für noch unbetretene Wege hält, ein trunkener Auf-
wand an konstruktiven und formalen Absonderlich-
keiten, hier und da der vollendetste Widersinn in
Bezug auf die Gebrauchsfähigkeit. Auf der dies-
jährigen Dresdener Ausstellung hat der Münchener
Maler pankok einen Stuhl ausgestellt, dem hinten
statt der üblichen zwei nur ein Bein zugedacht ist,
der also bei der geringsten Seitenwendung des darauf
Sitzenden umfällt und so direkt lebensgefährlich ist.
Zu erfreulichen Leistungen haben sich von den dies-
jährigen Ausstellern in Dresden, wie mir scheint,
überhaupt nur wenige durchgerungen, vielleicht ist
Riemerschmid der einzige.

Doch ich will der jungen deutschen Kunst nicht
Unrecht thun. Zst es doch eine Freude zu sehen, wie
rasch sie sich in kurzer Zeit entwickelt hat und es fehlt
ihr keineswegs an hervorragenden Leistungen. Welche
Reihe von Talenten unter den Künstlern, die sich ihr
gewidmet haben! Welche Gestaltungsfülle verkörpert
ein Eckmann, ein wie glänzendes Talent ist Peter
Behrens, was läßt sich noch alles von Künstlern
wie Riemerschmid und v. Berlepsch erwarten, wie
fein sind die Gläser von Köpping, wie geistreich
Obrists Stickereien! Welch' eine Fülle von poffnung
kann man auf eine Reihe solcher Männer setzen!
Es ist gar keine Frage, die Künstler, die etwas leisten
und die neue Kunst entwickeln können, sind in Fülle
vorhanden, an der Führung fehlt es also nicht. Aber
zwischen den Führern und der breiteren Bevölkerung,
ja selbst zwischen ihnen und den ausführenden pand-
werkern ist eine tiefe Kluft. Zunächst gilt es für
uns diese zu überbrücken und dies kann nur durch
einen Anfang von unten, nicht von oben, geschehen.
Es gilt, den pandwerker freier zu erziehen, ihm eine
gewisse Selbstständigkeit in seinem künstlerischen
Empfinden zu verschaffen und vor allem ihn nicht
an die Krippe des historischen Ornaments, sondern
an die der Natur zu binden. Auch dann aber bleibt
noch die schwierigste Aufgabe bestehen, nämlich die,
das Publikum selbst künstlerisch zu erziehen. Dies kann
nur durch eine freiere Gestaltung des Zeichenunterrichts
geschehen, dessen erster Grundsatz der sein sollte, aus
dem Zeichnen ein Vergnügen, ein Spiel meinetwegen,
keinesfalls eine quälende Arbeit zu machen. Zm
Anschluß an den Zeichenunterricht folge die pflege
eines kleinkünstlerischen Dilettantismus.

Zch habe darzuthun versucht, daß England
in Bezug auf kunstgewerblichen, auf pandwerker-
und ornamentalen Zeichenunterricht, auf pflege des

— Z2S --
 
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