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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 65.1914-1915

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Steinlein, Stefan: Wandlungen in der Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.8768#0230

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Domes ein drohendes, deutliches Symbol der Er-
neuerungsgelüste mittelalterlicher Zwingherrschaft
der Stände und der Kirche; nach ihrer Ausfassung
war der gotische Stil der wahre Ausdruck des
„rohen, gewalttätigen und geistesverfinsterten Mittel-
alters". Römische Bauweise konnte bei den Revo-
lutionären aus verwandten geschichtlichen Remi-
niszenzen mit ähnlichen Gedanken abgelehnt wer-
den; Läsar, der die Freiheit ermordete, stieg vor
ihnen auf und trieb sie zur Abwehr. Lin antiker,
„hellenischer" Tempel, in einer Umgebung wie die
Walhalla bei Kelheim, konnte als „Ausdruck deut-
schen volkstumes" gelten.

Erst durch die Befreiungskriege war ja ein tieferes
Interesse an deutschem Volkstum, lebendiger An-
teil an deutscher Geschichte herangewachsen. Noch
konnte man, durch politische Miseren ewig genarrt
und gequält, historische Überlieferungen und so
auch Stilformen nicht uninteressiert nehmen. For-
men konnten Bekenntnisse enthalten, zum Aus-
druck von Gesinnungen gewählt werden. Bau-
kunst und Malerei boten ihre Mittel, Überzeugungen
auszusprechen, zu bekennen; Stilformen boten ihre
Ausdrucksmittel und konnten als solche umstritten
werden. „In jener Zeit klagten die Liberalen,
wenn eine Schule gotisch gebaut wurde, weil man
in diesem Stil das Unwissenschaftliche des Finsteren*
Mittelalters erkannte. Man hielt es für Unsinn,
einen Bahnhof gotisch zu bauen; man kämpfte
gegen die mittelalterliche Kunst als Erneuerung
des mittelalterlichen Geistes, ebenso wie man von
kirchlicher Seite für diesen Geist und für diese
Kunst kämpfte. . Man stritt, welche Stilart für einen
Bau angemessen sei: die Antike für eine Akademie,
ein Theater; die Renaissance für ein Stadtschloß,
ein Rathaus; die Gotik für ein Landschloß, eine
Kirche: denn man glaubte durch den Stil den Geist
des Sokrates, der Medici oder der mittelalterlichen
Heiligen zu neuem wirken zu erwecken."

*

würde man versuchen in einer breitangelegten
historischen Darstellung alle politischen, sozialen,
ethischen, religiösen und freigeistigen Strömungen
darzustellen, welche das vergangene Jahrhundert
in Deutschland vom Beginn bis zu seinem Ende
in Atem hielten, es wäre wie sonst in keinem an-
dern Jahrhundert möglich, die bildenden Künste im
weitesten Sinne mit in den Kreis zu ziehen. Der
Anteil der Künstler an allen zeitbewegenden Ideen
war für ihre Mehrzahl so entschieden, daß es durch-
aus nicht überrascht, sie von stofflichem so erfüllt,
kaum ernstlich von rein malerischen Problemen er-
faßt zu sehen. Die gebildete Masse aber war Kunst

nur in Verbindung mit irgendwelchen Tendenzen
zu beachten gewohnt, und wandte sich erst von der
sozial erregten „Llendsmalerei" des Naturalismus,
im bourgeoisen Gefühl zu tiefst verletzt, entschieden
ab. Die Tragödien aller eigentlichen Künstler von
Easpar David Friedrich bis zu Maries wurzeln
in diesem Verhältnis der Künstler und der Laien-
welt zu den verschiedenen Zeitinhalten und modi-
schen Tendenzen.

wie die Architektur, so weit sie durch Tendenzen
zeitlich bedingter und wandelbarer Natur bestimmt
werden konnte, sich begrifflich beeinflussen zu lassen
und durch vorgefaßte Ideen geleitet zu werden,
dafür ist jene „altdeutsche" Bewegung der letzte
Beweis, welche sich nach der Gründung des Deut-
schen Reiches um die Mitte der siebziger Jahre an
die Werke der deutschen Renaissance anschloß, um
zu einem deutschen, nationalen Stil zu gelangen.
Durch Semper war indes vorher schon der jedesmal
doch nur vermeintlichen, äußerlichen Stilechtheit
ein gewaltiger Stoß zuteil geworden. Aber es
sollte noch lange währen, bis sein Gedanke zur
Tat werden konnte, wonach es die jedesmalige
besondere Ausgabe der Architektur ist, die „bau-
liche Aufgabe nach bestimmten, aus der werkform
sich ergebenden Gesetzen" zu entwickeln.

Jetzt werden unter den Eindrücken des gewaltigen
Völkerringens verstiegene Sätze wie diese geschrie-
ben: . . . „Unsere geschändete Sprache soll gerei-
nigt, unsere Kunst von aller Überspanntheit und
allem Ungesunden, Undeutschen, durch unser neu-
geborenes Nationalbewußtsein geheilt werden." . . .
Besonnen macht Muthesius in diesen Tagen auf-
merksam, „daß das nationale Selbstbewußtsein an
sich noch keinen Stil erzeugen könne, daß viel-
mehr dazu auch künstlerische Veranlagung gehöre";
Deutschland hat im „modernen Kunstgewerbe bahn-
brechend gearbeitet, es hat auf allen Gebieten der
angewandten Kunst in geradezu vorbildlicher weise
reformatorisch gewirkt, es ist heute der Träger der
lebendigen Bewegung in Architektur und Gewerbe
überhaupt." . . .

„Das, was Deutschland hier wirklich gelei-
stet hat, muß jetzt jeder Deutsche erkennen
und richtig einschätzen, wenn die große
nationale Erhebung, in deren Mitte wir
stehen, für unsere Zukunft auch in der
Kunst ihre Früchte tragen soll." . . .

Die Frage, „wie die neue architektonische Bewegung
nach dem Kriege" wirken müsse, beantwortet
Muthesius mit ruhigem, besonnenem weiterführen
des schon vorher Errungenen: „wir sind nicht

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